Buchrezension: Henryk M. Broder / Reinhard Mohr: Durchs irre Germanistan: Notizen aus der Ampelrepublik

© Buchcover: Europa Verlag, München

Buchrezension: Henryk M. Broder / Reinhard Mohr: Durchs irre Germanistan: Notizen aus der Ampelrepublik

Deutschland ist Phantasialand geworden. Anspruch und Realität passen nicht mehr zueinander. Wann gestehen wir uns das endlich ein? Die Journalisten Henryk M. Broder und Reinhard Mohr unternehmen eine Reise entlang der Grenzen der Republik: der historischen Grenzen, der Grenzen des guten Geschmacks, der persönlichen Grenzen verschiedener Politiker, der Grenzen der Realität und des Vorstellungsvermögens. In kurzen Notizen werden aktuelle politische und öffentliche Ereignisse dargestellt und in ihrer Widersprüchlichkeit und Absurdität aufgedeckt. Die Lage der Nation wird ironisch kommentiert. Und der Befund ist eindeutig: Moralischer Größenwahn, Realitätsferne, Pessimismus, Selbstüberschätzung und Angst lähmen den Fortschritt des Landes, so die These des Buches.

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In ihrem gemeinsamen Werk versuchen die Autoren, Deutschland kritisch unter die Lupe zu nehmen. Die kurzen Berichte gliedern sich in drei Kapitel. Das erste Kapitel enthält Notizen zur schönen Illusion oder Realitätsblindheit der Bullerbü-Republik. Hier werden populäre Trends wie Wertschätzung, Bildung, Zusammenhalt, Vorbild oder Frieden bissig kommentiert. Das zweite Kapitel nennt Moralismus die neue Gratistugend - die gute Absicht zählt. Hier stehen aktuelle Reizworte wie Heimat, Tierrechte, Vielfalt, Pazifismus und Antisemitismus im Mittelpunkt. Das dritte Kapitel beschreibt die deutsche Verliebtheit in die Apokalypse. Unter der Überschrift „Untergang ist immer“ werden Themen wie Müll, Atomausstieg, Wohnscham, Klimaaktivismus und Inflation zusammengefasst.

Das Motto „Wir schaffen das“, einseitige Medienberichterstattung und schnöde Geldzuwendungen hätten das Land eingeschläfert und gelähmt. Probleme wie die nicht verteidigungsfähige Bundeswehr, die verfehlte Energiepolitik, die Flüchtlingskrise, die Digitalisierung und der Wohnungsbau hätten die Republik inzwischen eingeholt. Der Fachkräftemangel sei in der Vergangenheit weder durch die Zuwanderung von Asylbewerbern behoben worden, noch werde die von vielen geforderte Einführung der Vier-Tage-Woche das Problem in Zukunft lösen. Die Legalisierung von Cannabis, der desolate Zustand der Deutschen Bahn und der jährliche Armutsbericht würden ein düsteres Zukunftsbild malen.

Doch nicht schlechte Stimmung, Moralismus oder Illusionen würden weiterhelfen, sondern Einsicht. Die Autoren fordern angesichts der schmerzhaften Realität auf, genau hinzusehen und die Dinge zu benennen, statt wegzusehen. Statt Ratlosigkeit und Wut seien die Bürger gefordert, das eigene Weltbild und ihre ideologischen Überzeugungen zu hinterfragen und ihre politischen Tabuzonen auszuleuchten. Doch die Angst vor der Freiheit, eine Vollkasko-Mentalität und Wohlstandsverwahrlosung mit zunehmender Geschichtsvergessenheit hinderten uns, den Kurs nachhaltig zu ändern. Nicht Aktionismus, sondern Reflexion würde den Anfang einer Zeitenwende markieren.

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Pointiert und sachkundig, zuweilen deutlich polemisch, legen die Autoren den Finger auf die wunden Punkte des Systems. Schon der Titel weist auf den pointierten, fast satirischen, auf jeden Fall glossenartigen Schreibstil hin. Auch inhaltlich werden Dinge zugespitzt, überspitzt und Vorgänge teilweise ad absurdum geführt. Deutlich negative Meinungsäußerungen bis hin zur Diffamierung einzelner Politiker tun ihr Übriges. Das Buch wird daher nicht allen Lesenden gefallen, vor allem nicht denen, die Wert auf „political correctness“ legen. Grenzwertig sind auch die krassen Aussagen über Juden, die nur dadurch erträglich werden, dass Henryk Broder selbst einen jüdischen Hintergrund hat und jahrelang in Israel lebte.

Doch hinter der Ironie und dem Sarkasmus der Autoren schimmert die ernste Sorge um die Zukunft des Landes durch. Ihr Anliegen ist es, den Anfängen zu wehren, ein Bewusstsein zu schaffen und zu protokollieren, um „nicht verrückt zu werden“ (S. 252). Was können wir also tun? Nicht Flucht- oder Auswanderungsgedanken würden persönlich weiterhelfen, sondern das Aufsuchen kleiner, unspektakulärer Paradiese vor der Haustür, wo die Welt noch in Ordnung und Germanistan weit weg zu sein scheint. Hier könnte man verweilen und selbstvergessen von einer besseren Zukunft träumen. Dieser Tipp klingt fast zu schön, um wahr zu sein.

Claudia Mohr

Die Rezension kann unter diesem Shortlink als Dokument heruntergeladen werden: https://t.ly/rmTaN