Symposium der Adventisten über LGBTQ+ und adventistische Kirchengemeinden

Bei der „strukturierten Debatte“ (v. li.) Klaus Schmitz, Jens Mohr (Moderation), Dr. Martin Pröbstle.

Foto: © APD/tl

Symposium der Adventisten über LGBTQ+ und adventistische Kirchengemeinden

Vom 17. bis 19. November veranstaltete die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland ein Symposium zum Thema LGBTQ+ und Adventgemeinde. Rund 360 Personen nahmen daran teil, überwiegend adventistische Geistliche, Führungskräfte aus adventistischen Einrichtungen und der Kirchenverwaltung sowie am Thema interessierte Gemeindemitglieder. Das Symposium fand im Kongress Palais in Kassel statt und bestand aus Referaten, einer strukturierten Diskussion, Workshops und geistlichen Impulsen.

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Ein Thema mit großem Konfliktpotenzial

Zu Beginn des Symposiums am Freitagabend umriss die Moderatorin der Plenumsveranstaltungen, Judith Fockner (Hope TV), das Thema mit den Worten: „Wie gehen wir als Christen mit dem Thema LGBTQ+ um? Wie begegnet man queeren Menschen im christlichen Geist? Anschließend führten die beiden Präsidenten der adventistischen Freikirche in Deutschland in das Thema ein. Werner Dullinger, Präsident des Süddeutschen Verbandes der Freikirche, eröffnete die Veranstaltung mit einer Andacht, in der er das Thema als Herausforderung für die Einheit der Kirche bezeichnete. Entscheidend sei die Haltung, mit der man an das Thema herangehe. „Es geht nicht nur darum, den anderen zu verstehen, sondern auch zu verstehen, warum er die Dinge so sieht.“ Deshalb würden auf dem Symposium unterschiedliche Positionen zur Sprache kommen.

Johannes Naether, Präsident des Norddeutschen Verbandes der Freikirche, berichtete in seiner Einführung von persönlichen Erfahrungen und Gesprächen mit Vertretern anderer Kirchen, darunter auch mehrerer Freikirchen. Dort herrsche beim Thema LGBTQ+ überwiegend Vorsicht und manchmal auch Angst. Er fragte: „Können wir Tabuzonen verlassen?“ Gleichzeitig sei er sich bewusst, dass dieses Thema ein großes Konfliktpotenzial bis hin zur Zerreißprobe berge, aber auch die Tür zu einer großen Lernerfahrung öffne: „Wir gestalten gemeinsam eine Kultur der liebevollen Annahme, indem wir uns klar machen, dass es bei diesem Thema um die Menschen an unserer Seite geht.“ Er rief dazu auf, gemeinsam eine solche Kultur der Annahme und Wertschätzung zu gestalten.

Unterschiedliche Herangehensweisen – unterschiedliche Ergebnisse

Rolf Pöhler, Professor für Systematische Theologie an der adventistischen Theologischen Hochschule Friedensau (bei Magdeburg), gab anschließend einen Überblick über verschiedene Ansätze der Hermeneutik (Auslegung) im Blick auf biblische Aussagen zu gleichgeschlechtlicher Sexualität. Diese reichten von einer „undifferenzierten“ und „differenzierten“ Akzeptanz der biblischen Aussagen über eine Neubewertung der biblischen Aussagen im Licht des Kontextes und des Evangeliums bis hin zu einer „differenzierten“ und „undifferenzierten“ Ablehnung der einschlägigen biblischen Aussagen. Je nach dem gewählten hermeneutischen Zugang kommt es zu unterschiedlichen Auslegungsergebnissen, die von einer unveränderten oder modifizierten Gültigkeit der biblischen Aussagen zu gleichgeschlechtlicher Sexualität über deren zeitbedingte Gültigkeit in einem bestimmten historischen Kontext bis hin zu einer völligen Ablehnung dieser Aussagen reichen.

Eine „strukturierte Debatte“ im Gottesdienst

Am Samstagvormittag feierten die Teilnehmer des Symposiums einen gemeinsamen Gottesdienst. Dabei wurde die Predigt zum Thema „Sind gleichgeschlechtliche Partnerschaften unter bestimmten Bedingungen biblisch zu rechtfertigen“ in Form einer „strukturierten Debatte“ gehalten, in der eine bejahende und eine verneinende Haltung thematisiert wurden. Die bejahende Position wurde von Klaus Schmitz, Pastor im Ruhestand, aber noch als Krankenhausseelsorger im adventistischen Krankenhaus Waldfriede (Berlin-Zehlendorf) tätig, vorgetragen. Die verneindende Haltung formulierte Dr. Martin Pröbstle, Dekan und Dozent für Altes und Neues Testament sowie Hebräisch am adventistischen Theologischen Seminar Schloss Bogenhofen (St. Peter am Hart/Österreich). Jeder Redner konnte 20 Minuten lang seinen Standpunkt darlegen, woraufhin der andere Redner die Möglichkeit hatte, in einer zehnminütigen Replik darauf zu antworten und Gegenargumente vorzubringen. Auf diese Gegenrede konnte der Vertreter der Gegenseite wiederum 5 Minuten antworten. Dieses Verfahren sollte „zeigen, dass wir menschlich fair und respektvoll und gleichzeitig inhaltlich hochwertig debattieren können“, so der Theologe Jens Mohr, einer der Mitorganisatoren des Symposiums, in seiner Einführung.  Trotz der unterschiedlichen theologischen Positionen machten beide Referenten deutlich, dass jedem Menschen, unabhängig von seiner sexuellen Orientierung und Identität, im christlichen Geist die gleiche Wertschätzung und annehmende Haltung entgegengebracht werden sollte, sowohl von den einzelnen Gläubigen als auch von den Kirchengemeinden. Anschließend hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, die Vorträge in mehreren Gruppen zu reflektieren und zu diskutieren. Auch hier zeigte sich eine große Übereinstimmung gegenüber dem letztgenannten Punkt.

Workshops

Am Samstagnachmittag wurden sechs verschiedene Workshops zu folgenden Themen angeboten: „Unser Kind hat sich geoutet. – Was nun?“ (Ulrike und Norbert Dorotik – Seelsorger i. R.); Einstimmig – vielstimmig? Wie andere Kirchen sich zu Homosexualität positionieren“ (Dipl. Theol. Jens Mohr);  „‚Aber was ist mit…?‘ – Mit dem Bibeltext ringen. Wie überzeugend sind die revisionistischen Argumente?“ (Dr. Martin Pröbstle); „Transgender in der modernen Medizin – ein Paradigmenwechsel“ (Dr. med. Michael Seifer, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie);  „Wenn der Adventgemeinde das reale Leben um die Ohren fliegt: Sexualitäten, neue Lieder und alte Gewissheiten“ (Prof. Dr. Thomas Steininger, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut und Lehrbeauftragter); „Was triggert Kirche und Gesellschaft bei der Vielfalt der Geschlechter so stark? Was für eine Orientierung gibt uns die christliche Nächstenliebe?“ (Martin Wurster, Coach, Supervisuor und Transaktionsanalytiker im Bereich der Identitäts- und Sexualberatung).

Erfahrungsberichte

Am Samstagabend berichteten homosexuelle Menschen von ihren Erfahrungen mit ihrer Orientierung: Wann und wie wurde sie ihnen bewusst, wie reagierten Familie und Umfeld, wie wurde in der jeweiligen Kirchengemeinde mit ihnen umgegangen? Dabei kamen sehr unterschiedliche Lebensgeschichten zum Vorschein: Manche berichteten von traumatischen Gewalt- und Ablehnungserfahrungen in ihrer Kindheit, andere erlebten eine glückliche Kindheit. Und auch die Kirchengemeinden reagierten sowohl mit Zurückweisung (häufiger) als auch mit Akzeptanz (seltener).

Drei Impulsvorträge am Sonntag

Der Sonntagvormittag war mit drei Impulsvorträgen ausgefüllt. Den Anfang machte Dr. Christoph Raedel, Professor für Systematische Theologie an der Freien Theologischen Hochschule Gießen. Sein Thema war die Ehe und die geschlechtliche Verschiedenheit von Mann und Frau, die er als konstitutiv für die Ehe ansieht. Der Ehebund sei auch ein Bild für den Bund Gottes mit seiner Gemeinde, in dem es ebenfalls eine innewohnende Differenz der Ehepartner gebe (Bräutigam: Christus; Braut: Gemeinde), die eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft nicht abbilden könne. Die These, der frühchristliche Missionar und Apostel Paulus habe keine echte homosexuelle Partnerschaft gekannt und sich deshalb ablehnend gegenüber homosexuellen Praktiken geäußert, wies er als nicht belegbar zurück.

Im zweiten Impulsvortrag sprach Prof. Dr. Thomas Steininger über die Schwierigkeiten, in (adventistischen) Kirchengemeinden über Themen wie Sexualität und Identität zu sprechen. Es gebe viele unverarbeitete psychische Probleme unter den Gemeindemitgliedern, die dann als Aggressionen nach außen getragen würden.  Dies führe eher zu Spaltung als zu Integration und erschwere es, über von der Norm abweichende Identitäten zu sprechen. Im Übrigen gebe es in der queeren Szene sehr unterschiedliche Selbstbilder und ideologische Konflikte, oft verbunden mit psychischen Problemen. Seine These: Ohne Liebe keine Heilung. Das gelte auch für die Gemeinde: „Die Gemeinde kann man nur lieben, um in ihr existieren zu können“.

Im dritten Impulsvortrag beschrieb Martin Wurster Wege zur Begleitung von LSBTQ+ in Kirchengemeinden. Dabei betonte er die zentrale Bedeutung von verlässlichen und identitätsstiftenden Beziehungen. Diese müssten sowohl vom Elternhaus als auch von den Kirchengemeinden gewährleistet werden.

Zur Atmosphäre

Insgesamt verlief das Symposium trotz des für viele emotional aufwühlenden Themas in einer sachlichen und herzlich-kommunikativen Atmosphäre. Auf gegenseitige Vorwürfe wurde verzichtet und die Bedeutung von Verständigung und christlicher Nächstenliebe betont. Die Inhalte der Vorträge und Workshops sollen in einem Tagungsband zusammengefasst und veröffentlicht werden. Ein Erscheinungstermin steht noch nicht fest.