Buchrezension: Franziska Schutzbach: Die Erschöpfung der Frauen - Wider die weibliche Verfügbarkeit

Erschienen im Verlag Droemer HC, München, 2021; 304 Seiten

© Buchcover: Verlag Droemer HC

Buchrezension: Franziska Schutzbach: Die Erschöpfung der Frauen - Wider die weibliche Verfügbarkeit

APD
Ostfildern

Das Buch ist ausdrücklich kein Ratgeber für Betroffene, sondern eine Kampfansage. Die Forderung: Gesellschaftliche Solidarität einklagen und um Umverteilung kämpfen, statt Beschämung, Erschöpfung und schlechtem Gewissen. Die Orientierung an hetero-patriarchalen Maßstäben aufzukündigen und Beteiligung einzufordern. „Wenn die Erschöpfung aufhören soll, müssen wir das System ändern und eine neue Zeitpolitik lancieren“ (S. 239). Die weibliche Verfügbarkeit zeige sich besonders „entlang der Überlappung von geschlechts-, ethnisch- und klassenspezifischen Aspekten“ (S. 223). Deshalb nimmt die Schweizer Feministin in ihrer kritischen Analyse konsequent Bezug auf Personen in LGTBQ-Kontexten, sowie Personen mit Migrationshintergründen.

Zum Buch

In ihrem Buch geht die Autorin in sieben Kapiteln, die als eigenständige Essays verfasst sind, auf ausgewählte Themen zum Thema ein. Es geht um sexuelle Verfügbarkeit, mangelndes Selbstvertrauen, Körperscham, Mutterschaft und Metal Load. Eine Einleitung und ein Ausblick runden das Buch ab. Ausführliche Verweise zeigen die gründliche Recherche im Bereich der feministischen, intersektionalen Forschung. Schutzbach führt uns in eine unsichtbare Parallelwelt, in der Frauen sexuell diskriminiert und als Subjekte wahrgenommen, systemisch abgewertet und frauenfeindlich behandelt werden. Sie berichtet von Sexarbeiterinnen und Care Workerinnen mit Migrationshintergrund, die unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten, und von Müttern, die mit bürgerlichen Mutteridealen kämpfen und dem Ideal des „glücklichen Kindes“ gerecht werden müssen.

Zum Inhalt

Als Aktivistin ist Schutzbach radikal selbstkritisch in ihrer Zustandsbeschreibung. Frauen seien grundsätzlich in ihren zugewiesenen Rollen und Identitäten leidenschaftlich verhaftet und würden eigene patriarchale Mutterideologien zu wenig hinterfragen. So sei es unmöglich, gegen den „Sexismus der vorherrschenden Rollenklischees“ zu protestieren und gegen die eigene Mittäterschaft zu revolutionieren (S. 209). Sie plädiert „deshalb für mehr Negativität, für mehr Nein, für schlechte Laune, für Wut und Melancholie“ (S. 237). Frauen sollten sich organisieren und öffentlich protestieren. Die MeToo-Bewegung wird als Demonstration der Macht gesehen, die Frauen zeigt, die sich verweigern, entziehen und aufbegehren.

Schutzbach ist der Ansicht, „dass ein zeitgemäßer Feminismus ohne die Frage von grundsätzlicher Umverteilung von Macht und Ressourcen, ohne die Forderung nach einem neuen Wirtschaftssystem nicht auskommen kann“ (S. 259). Sie schlägt vor, die Erwerbsarbeit für alle zu reduzieren und neue Zeitmodelle zu lancieren. Konkret favorisiert sie dabei die Vier-in-eine-Perspektive der Soziologin Frigga Haug, die eine Utopie von Frauen für alle sein möchte und die über die Fremdverfügung der kapitalistischen Verhältnisse schimpft. In dem Zusammenhang werden auch Marx und Engels zitiert (S. 265). Diese Utopie gelte es realpolitisch umzusetzen.

Männer kommen in diesem feministischen Buch schlecht weg. Sie hätten grundsätzlich wenig Interesse, die patriarchalen Strukturen zu ändern, weil sie sich an den positiven Emotionsangeboten der Frauen orientieren wie Geborgenheit, Nähe, Sex und Empathiearbeit. So würden Männer von konservativeren Beziehungs- und Familienidealen stärker profitieren. Diese Darstellung belegt Schutzbach mit Studien, die belegen, dass in heteroexuellen Paarhaushalten mit Kindern Frauen 83,3 Prozent mehr Sorgearbeit leisten als Männer. Weitere Studien bescheinigen sogar modernen Männern eine „verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre“ (S. 252).

Zum Punkt

Das Buch ist trotz starker Theoriebezüge gut lesbar. Es lässt wenig Diskussion über den aktuellen Zustand unserer Gesellschaft zu, der durch Studien gut belegt ist. Der Feststellung, dass Sorgearbeit wieder mehr Wertschätzung erfahren muss, kann man nur zustimmen. Die linke Utopie einer egalitären und umverteilenden Gesellschaft wird jedoch nicht von allen Lesenden als ideologisch und realpolitisch umsetzbar angesehen. Statt links zu träumen und zu streiten, könnte eine wertschätzende Haltung der Gesellschaft gegenüber der Arbeit von Frauen bereits konkret weiterhelfen. Aber auch ein konservativeres Weltbild kann die realen Probleme nicht lösen, sondern nur mildern. Und moderne Männer, die „ihre weitgehende Verhaltensstarre“ reflektieren und angehen, sind willkommen, ändern jedoch zugegebenermaßen nicht das System.

Solange die Systemänderung als Makrolösung nicht in Sicht ist, müssen Frauen deshalb weiterhin individuelle Lösungen im Mikrobereich schaffen, um ihrer Verausgabung vorzubeugen, beispielsweise durch persönliche Rückzugszeiten und -orte. Dem Implodieren der persönlichen Grenzen muss nachhaltig vorgebeugt werden, indem das Bedürfnis nach Freiheit stets auf Neue erkämpft, verteidigt und legitimiert wird. Denn „Alleinsein… bedeutet für viele Frauen immer noch ein Privileg“ (S. 244). Die persönliche Haltung muss reflektiert werden, sowie der Umgang mit dem derzeit vorherrschenden Bild der Superpowerfrau, das keine Sorgearbeit enthält und keine Verbindung mit anderen.

Hier werden die Folgen der Errungenschaften des Feminismus sichtbar: Frauen dürfen jetzt alles, aber sie sollen auch alles. Und genau diese Forderung untergräbt die individuelle Selbstbestimmung und wirkt kontraindikativ. So bleibt also neben dem langfristigen Träumen und Streiten für ein besseres Gesellschaftssystem und konkrete Veränderungen im persönlichen Beziehungssystem kurzfristig doch die Arbeit an der Work-Life-Balance, um der emotionalen Verausgabung wirksam entgegenzuwirken.

Claudia Mohr

Die Rezension kann als Dokument heruntergeladen werden: https://www.apd.info/wp-content/uploads/2023/03/Rezension-Schutzbach-Die-Erschoepfung-der-Frauen.pdf