Buchrezension: Manfred Lütz - Neue Irre - Wir behandeln die Falschen: Eine heitere Seelenkunde.

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Buchrezension: Manfred Lütz - Neue Irre - Wir behandeln die Falschen: Eine heitere Seelenkunde.

APD

Die heitere Seelenkunde ist in drei große Abschnitte eingeteilt und wird von Vorwort und Nachwort mit persönlichen Ergänzungen eingerahmt. Im ersten Teil wird eine unterhaltsame Einführung gegeben und Wahnsinn und Blödsinn bekannter Persönlichkeiten aufs Korn genommen. Nicht alles, was unsinnig erscheint, ist tatsächlich auch krank, so Lütz. Der zweite Teil wird den Behandlungsformen gewidmet mit dem Leidensdruck, der Zielgruppe und den gängigen Methoden. Er dritte Teil hat den Anspruch alle Diagnosen und Therapien aufzulisten und gibt Kapitelweise kleine Einblicke in die Alzheimer Erkrankung, die Demenz, Suchterkrankungen, der Schizophrenie, der Depression und anderen „menschlichen Variationen“ (S. 172). Ein Sachregister ist angefügt.

Lütz verändert dabei die Perspektive auf die Wirklichkeit und fügt eine neue Koordinate hinzu. Neben den Begrifflichkeiten Normal und Nicht-Normal nennt der Autor auch die Moral und unterteilt in die Kategorien Gut und Böse. Das ist umstritten, führt aber über die Biologie hinaus zur Ethik. Hier wird der theologische Hintergrund des Autors deutlich. Auch wenn Lütz den Wert einer religiösen Perspektive auf das Krankheitsgeschehen erwähnt, warnt er davor, Seelsorge und Psychotherapie zu vermischen. Psychotherapiemethoden sollen nicht als Ersatzreligionen missbraucht werden.

Zum Punkt

Wer eine unterhaltsame Lektüre schätzt und einen Perspektivenwechsel benötigt, ist mit dem Buch gut beraten. Der kurze Überblick ist schlüssig, wenn auch stark subjektiv gefärbt. Dabei gibt sich Lütz als ausgebildeter Psychoanalytiker und Verhaltenstherapeut versöhnlich gegenüber den großen Strömungen der Psychotherapie und pragmatisch in der Praxis. So erwähnt er etwa den lösungsorientierten Ansatz von Steve de Shazar mit dem Fokus auf die individuellen Fähigkeiten des Klienten, sich selbst Lösungen zu erarbeiten. Lütz stellt die Möglichkeit der medikamentösen Behandlung neben die Psychotherapien und verweist jeweils auf die Nebenwirkungen. Dabei vertritt er die Auffassung, dass Klinikaufenthalte nur bei akuten psychischen Krisen angezeigt sind, und die Betroffenen anschließend wieder so gut wie möglich in die Gesellschaft integriert werden sollten. Er äußert sich kritisch zu der Praxis jahre- oder gar lebenslanger Klinikaufenthalte und bezweifelt deren Nutzen für die Gesundung. Man spürt bei Lütz das Bemühen, psychische Leiden aus der „Schmuddelecke“ herauszuholen und betroffene Menschen möglichst nicht „abzuschieben“.

Das Buch ist humorvoll und gutgelaunt geschrieben. Das wird bei diesem ernsten Thema nicht allen Lesern gefallen. Auch sein Optimismus und der Verweis auf die außerordentlich guten Heilungschancen durch die evidenzbasierten Behandlungsmethoden seiner Zunft werden nicht von allen Fachleuten geteilt. Psychische Ausfälle sind oftmals lebenslängliche Begleiter und nicht nur als einzelne biographische Episoden anzusehen. Sein locker-humorvoller Schreibstil sollte nicht dazu verleiten, den (lebens-) gefährlichen Ernst einer psychischen Störung zu verkennen. Gleichwohl ist es ein Sachbuch, das Nichtmedizinern eine gut verständliche Einführung in die komplexe Thematik bietet.

Claudia Mohr