Die Kuppel des Felsendoms in Jerusalem glänzt wie ein goldener Apfel – und vergiftet die Atmosphäre in der Stadt. Der Journalist und Historiker Joseph Croitoru widmet sich in seinem neusten Buch dem alten Konflikt um Jerusalems heilige Stätten. Detailliert und faktenreich schildert er Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern, die sich stets aufs Neue um den Tempelberg entzünden. Es scheint, als werde hier der Nahostkonflikt im Miniformat ausgetragen. Seit der Entstehung des jüdischen Nationalstaates wird der jüdische Einfluss größer und die Spannungen nehmen zu. Die Hoffnung des Lesers auf eine friedliche Einigung wird nach der Lektüre des Buches schwinden. Man kann sich eher wundern, dass dort überhaupt noch etwas steht.
3000 Jahre Geschichte
Auf der Grundlage hebräischer und arabischer Quellen erzählt Croitoru die Geschichte des ewigen Kampfes um den heiligen Berg, der durch die politisch-religiöse Gemengelage über Jahrhunderte enorme Sprengkraft entwickelte. In sechs Kapiteln wird die Vergangenheit – beginnend von der Zeit des Alten Testaments über die spätosmanische Zeit und die britische Besatzungszeit bis in die Gegenwart hinein – dargestellt. Das letzte Kapitel führt aus, warum Frieden dort oben aufgrund der bewegten Vergangenheit unmöglich scheint, und gibt keinen Anlass zum Optimismus.
Alle bekannten Ereignisse wie die blitzschnelle Räumung des Maghrebiner-Viertels nach dem Sechstagekrieg 1967, die Anschläge von Extremisten, Aktivisten und Terroristen und der Streit um archäologische Grabungen werden aufgeführt. Jedoch hält sich der in Haifa geborene Autor mit den Bewertungen zurück und zeigt, dass bewusste Provokationen stets von beiden Seiten ausgingen. Manchmal mag der Zank über die Bänke an der Klagemauer, über das Singen von Nationalhymnen oder das Schofarblasen kleinlich erscheinen, doch vor dem geschichtlichen Hintergrund kann er verständlich werden.
Besonders erwähnenswert in diesem Kampf ist neben den nationalstaatlichen Interessen auch der religiöse Eifer, der ein friedliches Nebeneinander der Religionen praktisch unmöglich macht. Nicht nur Juden und Muslime knüpfen historisch gewachsene Heilsvorstellungen an den Tempelberg, sondern auch manche evangelikale Christen, die im Bau des dritten Tempels ein Vorzeichen der baldigen Wiederkunft Christi sehen. Die Grenze zwischen religiösem Eifer und Wahn scheint fließend und gipfelt in Gewalttaten. Die Stadt wirkt mitunter sogar krankhaft auf die Psyche, denn jährlich befällt etwa 100 Besucher das sogenannte „Jerusalem-Syndrom“, das mit religiösen Wahnvorstellungen einhergeht.
Friedensträume
Mit viel Bildmaterial, einer Zeittafel und umfangreichen Anmerkungen bekommt der Lesende einen guten Überblick über den Sachverhalt. Die bewusst objektive Darstellung lässt manchmal nur erahnen, mit welcher Gewalt die Geschehnisse um den Tempelberg ihre Kreise zogen. Auch besteht bei der nüchternen Lektüre die Gefahr, sich in geschichtlichen Details zu verlieren oder eine unbewusste Parteilichkeit zu entwickeln. Doch wird diesen Streit so schnell niemand schlichten können, kein Jude, kein Moslem und kein Christ. Der Tempelberg wird ein Zankapfel bleiben – solange er besteht.
Claudia Mohr
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