2021 und wieder mal ein Buch mit Weltuntergangsstimmung. Diesmal ist es die Öffentlichkeit, die zugrunde geht und von ihren Feinden zerlegt wird. Bernd Stegemann, Hochschullehrer und Dramaturg, wagt sich in seinem neusten Buch ins postmoderne Terrain vor und nutzt die Systemtheorie und die kritische Theorie als Reiseführer. Die Ansichten sind jedoch wenig erbaulich. Die spätmoderne Öffentlichkeit sei reizbar, bedroht und zunehmend debattenuntauglich. Es sei Zeit, die perfiden kommunikativen Mechanismen zu durschauen, ihnen sachlich entgegenzutreten und echte Meinungsfreiheit wieder zu ermöglichen. Nur so ließe sich unsere Demokratie langfristig noch retten.
Zum Inhalt
Auf 304 Seiten legt der Autor seinen Standpunkt mit ausführlichen Verweisen in fünf Kapiteln dar. Logisch nachvollziehbar führt er in das Thema ein und definiert anschließend den Begriff „Öffentlichkeit“, die sich auf zwei Arten darstellt. Nachdem die Arena betreten wurde, werden die Feinde ausgemacht und mit treffsicheren Beispielen entlarvt. Besonders interessant ist jedoch der letzte Teil des Buches, in dem sich Stegemann dem Anthropozän widmet. Die aktuell drohende ökologische Katastrophe würden die Menschen nur gemeinsam bewältigen können, statt sich persönlichen Befindlichkeiten als Handlungsmaxime zu setzen und mit psychologischen, sowie politischen Tricksereien Eigeninteressen durchzusetzen versuchen.
Gerade der kommunikative Methodenkasten, den Stegemann sehr akkurat darstellt, ist eine Stärke des Buches. Beispielreich und clever beobachtet deckt er Fehlentwicklungen in der Identitätspolitik, der Political Correctness, des Populismus, des Framings, der Angst- und Intimkommunikation und der Cancel Cultur auf und zeigt die daraus resultierenden Sackgassen auf. Allerdings muss man nicht seinem theoretischen Überbau zustimmen. So ist an Stegemanns fulminanten Gesellschaftskritik sein eigener linksorientierter Standpunkt unbedingt erwähnenswert. Das erklärt seine kritische Haltung dem Neoliberalismus gegenüber. Auch der Relativismus und die Postmoderne bekommen grundsätzlich ihr Fett weg.
Ganz anderer Art ist der Schluss des Buches. Hier räsoniert der Autor über die Transzendenz und führt religiöse Begrifflichkeiten ein. So nennt er die „nietzeanische Gottestötung“, die allgemeine Säkularisation der westlichen Welt und beschreibt die „postsäkulare Suche nach einer ökologischen Transzendenz“ im Anthropozän „ohne Gott und ohne Ritual“. Der Publizist spricht die Absurdität des postmodernen Glaubens an und hofft auf einen „Akt göttlicher Gnade, der die Transzendenz ins Jetzt der Menschen holt“. Denn allein „Gott [vermag] uns noch zu retten“. Sollte er dies jedoch nicht tun, sollen Demut, eine suchende Haltung und eine ökologische Politik die Menschheit retten, denn „[d]ie Lage ist … nicht nur ernst, … sie ist auch tragisch“.
Zum Punkt
Abstrakt, theoriegeladen und düster ausgeleuchtet gerinnen Stegemanns Beobachtungen der Spätmoderne zu einer äußerst kritischen Observation des Zeitgeschehens. Scharfsinnig schlägt Stegemann eine Schneise in die neue Unübersichtlichkeit der öffentlichen Debattenkultur und ist sich für eindeutige Klassifikationen nicht zu schade. Der verwendete Theoriemix wirkt dabei jedoch etwas willkürlich. Nach den scharfen Beobachtungen wird die Schwäche des kritischen Standpunktes sichtbar, denn die Lösungsvorschläge sind wie immer sehr vage gehalten. Was bleibt dem Lesenden da anderes übrig, als kritisch zu bleiben und sich seiner wohlüberlegten Meinung zwar sicher zu sein, sie jedoch nur unter Vorbehalt zu äußern?
Claudia Mohr
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