Warum hatte das Römische Reich keinen dauerhaften Bestand? Diese Frage beschäftigt noch heute Wissenschaftler und interessierte Laien gleichermaßen. Die Antworten zum Ende der Antike sind vielfältig. Prominente Thesen sind die Völkerwanderung oder auch eine „spätrömische Dekadenz“. Der Professor für Altertumswissenschaften an der Universität Oklahoma, Kyle Harper, wagt in seinem Buch FATUM eine neue These: Nicht die Germanen, sondern Klimaschwankungen und Seuchen seien Hauptgründe für den Untergang. „Bakterien sind noch weitaus tödlicher als Barbaren“ (S. 41). Der englische Originaltitel ist da aussagekräftiger und aktueller: „The Fate of Rome: Climate, Disease, and the End of an Empire“.
Sorgfältig recherchiert, flüssig geschrieben und interdisziplinär lohnt sich der Blick in die Apokalypse der Spätantike, um das aktuelle Weltgeschehen zu bewerten. Das Buch ist in Prolog, sieben Kapitel und Epilog gegliedert. Ein umfangreicher Anhang sowie viele Karten und Diagramme und Tabellen belegen die Ausführungen. Durch das brillante Zusammendenken von geistes- und naturwissenschaftlichen Fakten wird ein prächtiger Einblick in die damalige Welt gegeben. Das drastische, teils apokalyptische Vokabular lässt die römische Welt in Flammen stehen. Harpers Seuchen- und Klimageschichte klingt einleuchtend, ist allerdings in Fachkreisen umstritten, da ihm etliche Detailfehler nachgewiesen wurden.
Vergangenheit
Der Niedergang Roms ist Geschichte. Dieser Geschichte lässt sich allerdings heute mit modernen Forschungsmethoden auf den Grund gehen. Neben antiken schriftlichen Quellen lassen sich Daten aus „natürlichen Archiven“ heranziehen, wie Eisbohrkerne, Meeressedimente, Gletscher, Jahresringe und DNA-Untersuchungen. Daraus rekonstruiert Harper drei Phasen des römischen Imperiums. In der anfänglichen Hochzeit (ca 200 v.Chr. bis 150 n.Chr.) sei ein warmes und feuchtes Klima vorherrschend gewesen. Die Übergangsphase (150 n.Chr. Bis 450 n.Chr.) sei von klimatischer Unbeständigkeit gekennzeichnet gewesen. Ab 450 n.Chr. herrschte dann die spätantike Kleine Eiszeit, die die Römer auszehrte.
Zusätzlich traten drei furchtbare Pandemien auf, die die Kraftreserven der Römer sprengten. 165 n.Chr. wütete die Antoninische Pest mehr als 24 Jahre. Die Cyprianische Pest entvölkerte zwischen 250 n.Chr. und 271 n.Chr. das Reich. Ab 541 n.Chr. trat die dritte Pestwelle, als Justinianische Plage bekannt, auf und hielt sich etwa 200 Jahre. Die genauen Krankheitserreger sind nur teilweise bekannt. Ihre Letalität ist jedoch unbestritten und wird mit bis zu 50% angegeben. Diesen klimatischen und biologischen Naturgewalten sei das Imperium der Römer seinerzeit nicht mehr gewachsen gewesen und es kollabierte, so Harper.
Gegenwart
Harpers These lässt sich wunderbar auf die Gegenwart beziehen. So gilt die Klimaerwärmung heute als ernstzunehmende Gefahr für die Zivilisation, die besonders die junge Generation mit der „Fridays for Future“-Bewegung umtreibt. An einer Lösung arbeiten viele Staaten gemeinsam, nicht zuletzt im Pariser Klimaabkommen. Das Klima gilt es zu schützen, so die gemeinsam gewachsene Überzeugung. Allerdings war 2017 noch nicht absehbar, wie aktuell das Thema Seuchen im weiteren Verlauf der Weltgeschichte werden würde. Was sich damals noch wie eine Schauergeschichte angehört hat, ist heute Wirklichkeit durch Covid 19 geworden. Das Virus bedroht die Gesellschaft. Die Folgen auf die Zivilisation sind verheerend und auch nach einem Jahr Pandemie noch gar nicht vollends abzusehen. Sicher ist aber, dass das Virus eine Zäsur bedeutet.
Zukunft
Es ist aufschlussreich, Harpers Gedanken weiterzudenken und in die Zukunft zu projizieren. Wie gefährlich können die Faktoren Klima und Seuchen für unsere moderne und globale Zivilisation werden? Wie stark ist unsere heutige Zivilisation vom Untergang bedroht? Wann ist der Punkt erreicht, an dem das System kippt? Gibt es ein zurück? Oder werden wir ganz schnell und scheinbar unabsehbar in unsere Einzelstücke zerfallen und unter total veränderten Bedingungen neu anfangen müssen? Die Lage ist ernst und eine Geisteshaltung der „spätrömischen Dekadenz“ wäre hier völlig fehl und würde zweifelsfrei den zivilisatorischen Untergang beschleunigen. Vielmehr benötigt es Weitsicht, Courage und Engagement, um Fehlentwicklungen zu bemerken und wo möglich zu korrigieren. Anderenfalls droht uns ähnliches Ende wie das der Römer, soviel ist sicher.
Claudia Mohr
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