Der Begriff „orthodox“
In der Orthodoxen Kirche würden verschiedene Begriffe gebraucht, um die orthodoxe Identität und das orthodoxe Selbstbewusstsein auszudrücken, so Vlantis. Der Begriff „orthodox“ sei griechischer Herkunft und bedeute, „richtig“ (orthos) „glauben“ (dokeo). „Doxa“ heißt aber nicht nur Glaube, sondern auch Lobpreis. Im Verständnis der Orthodoxen Kirche sei der Glaube keine lediglich abstrakte theoretische Lehre, sondern zugleich Lobpreis des dreieinigen Gottes. Dieser Lobpreis manifestiere sich in der Theologie sowie im liturgischen, sakramentalen und kirchlichen Leben überhaupt.
Eine Gemeinschaft von Kirchen
Die Orthodoxe Kirche bestehe aus einer Gemeinschaft von 14 autokephalen (eigenständigen) Kirchen: das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel, die Patriarchate von Alexandrien, Antiochien, Jerusalem sowie die Kirchen von Zypern, Russland, Griechenland, Serbien, Rumänien, Bulgarien, Georgien, Polen, Albanien, Tschechien und der Slowakei. Jede dieser Kirchen sei in ihrem eigenen Bereich selbständig, regele in eigener Verantwortung das kirchliche Leben und wähle ihr Oberhaupt ohne Einmischung anderer Kirchen. Alle orthodoxen Kirchen wären, ungeachtet ihrer Größe, untereinander gleich, wobei dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel als „primus inter pares“ (Erster unter Gleichen) ein Ehrenprimat zukomme. Das orthodoxe Kirchenverständnis habe zur Folge, dass Geistliche der einzelnen orthodoxen Kirchen problemlos Gottesdienste gemeinsam feiern könnten und dass die von ihnen gespendeten Sakramente und die ordinierten Ämter gegenseitig anerkannt würden. Deshalb könnten auch orthodoxe Christen der einen orthodoxen Kirche problemlos die Gottesdienste der anderen orthodoxen Kirche mitfeiern.
Gottesdienst, Ikonen, Mönchtum
Das gottesdienstliche Leben spiele in der Orthodoxie eine zentrale Rolle. Die Liturgie werde als Vorgeschmack des eschatologischen Reiches Gottes wahrgenommen, daher auch ihre Pracht und anspruchsvolle Symbolik. Die Ikonen sind ein unverzichtbarer Teil der ostkirchlichen Spiritualität. Dabei gehe es um keine pagane (heidnische) Anbetung der Materie, sondern um ein Bekenntnis der Menschwerdung Gottes, der die Materie selber aufgenommen und gesegnet hat, indem er Mensch wurde. Wichtig in der Orthodoxie sei auch die Rolle des Mönchtums, das spirituelle Orientierung anbiete.
Auseinandersetzung mit der modernen Zeit
Während es früher orthodoxe Christen hauptsächlich auf dem Balkan, in Russland und dem Nahen Osten gab, seien sie erst seit dem 20. Jahrhundert durch Mission, Auswanderung oder Flucht auf allen Kontinenten vertreten. Vlantis bezifferte die Zahl der orthodoxen Christenheit weltweit auf etwa 300 Millionen.
„Die Orthodoxie hatte lange Zeit nicht den Luxus der intellektuellen Auseinandersetzung mit der Moderne gehabt“, betonte Vlantis. Das zweite Jahrtausend sei für diese Kirche eine Zeit des Leides gewesen. „Das christliche Leben war im osmanischen Reich alles andere als einfach. Noch im 20. Jahrhundert wurden mehrere orthodoxen Kirchen von den kommunistischen Regimes stark unterdrückt.“ Ihr gottesdienstliches Leben schenke ihren Gläubigen Sicherheit, Orientierung und Inspiration. „Allerdings war unter diesen Umständen die Entstehung eines Traditionalismus nicht zu vermeiden.“ Heute versuchten orthodoxe Theologen sich mit den Herausforderungen unserer Zeit auseinanderzusetzen. Es finde auch eine ökumenische Öffnung statt, trotz des Widerstands fundamentalistischer Kreise. Dadurch, dass es heute orthodoxe Gemeinden auch in anderen Kulturkreisen gibt, etwa in Afrika, Asien oder in den USA, begännen in diesen Ländern orthodoxe Theologen nach Wegen zu suchen, sich den dortigen Gegebenheiten zu stellen. Sie würden beispielsweise über den Sinn der Liturgie nachdenken und in welcher Weise man diese den Menschen vermitteln könne.
Als Christ authentisch sein
Georgios Vlantis sieht Christen in der gegenwärtigen Zeit mit zwei Extremen konfrontiert: Das strikte Festhalten an Traditionen, um die eigene Identität zu bewahren und sich von Andersgläubigen abzugrenzen. Das habe zur Folge, dass das eigene Anliegen und Handeln nicht von anderen Teilen der Gesellschaft verstanden wird. Das andere Extrem: Man greife die Themen unserer Zeit auf, verwende aber eine theologisch sehr dürftige Sprache, da man Angst habe, der Mensch von heute könne mit anspruchsvollen Glaubensinhalten nichts mehr anfangen. Diese „theologische Unterfütterung“ spiegele eine Unterschätzung der intellektuellen Kapazitäten und der Tiefe der Sinnsuche des heutigen Menschen. Statt sich anzupassen und das zu sagen, was alle anderen auch sagen, gelte es als Christ den eigenen Glauben authentisch und sozial zu leben.
Theologische Hochschule Friedensau
Die Theologische Hochschule Friedensau wurde 1899 gegründet und ist eine staatlich anerkannte Hochschule in Trägerschaft der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten. In den Fachbereichen Christliches Sozialwesen und Theologie können acht Bachelor- und Master-Studiengänge – zum Teil berufsbegleitend – und ein Kurs „Deutsch als Fremdsprache“ belegt werden. 200 Studierende aus 34 Nationen sind derzeit eingeschrieben. Weitere Informationen: www.thh-friedensau.de
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