Die Erleichterung kam mit der Lichtreklame

Zwei Zeitzeugen berichten in der Mai-Ausgabe der Freikirchenzeitschrift „Adventisten heute“ von ihren Eindrücken und Gedanken zur Nazi-Zeit und zum Kriegsende vor 70 Jahren.

Nach der ersten Ruhe kam das Nachdenken
„Irgendwann kam der Tag, an dem Soldaten in amerikanischen Jeeps vorfuhren und unser Rathaus besetzten. Wir bauten die Verdunklung ab, die erste Lichtreklame leuchtete am Abend und es wurde in unserer Straße hell. In meiner Erinnerung war das ein großes Glück!“ So schildert Gerhard Rühle aus Leipzig wie er als Jugendlicher das Ende des Zweiten Weltkrieges erlebte. Es gab keine Angst mehr wegen der Luftlagemeldung am Abend, ob die Bomber kommen werden. Es gab kein Bangen mehr, wenn von der Front wochenlang kein Feldpostbrief von unseren Leuten kam. Die zurückkehrende, allabendliche Helligkeit der Straßenbeleuchtung sei wie eine Entwarnung gewesen. Doch nach der ersten Ruhe kam das Nachdenken über all das, was geschehen war.

Auch Gerhard Rühle habe als Zehnjähriger es kaum erwarten können, beim „Jungvolk“ mitzumachen. Nach einem Jahr Bewährung durfte er das Fahrtenmesser tragen. Der Einmarsch in Polen wäre mit Grenzschikanen begründet worden, die man nicht mehr hätte hinnehmen können. Er sah damals Kriegsgefangene bei Ausschachtungsarbeiten. Einem ließ er einen Schuhkarton mit Kartoffeln zukommen, weil ihm der Gefangene so Leid tat. „Am nächsten Tag fand ich dort einen schönen Fingerring aus Aluminium, den er aus Schrott gebastelt haben musste.“

Von den KZs habe er erst gegen Ende des Krieges gehört. Doch damals habe es geheißen: „Wenn das der Führer wüsste, würde er aber aufräumen!“ Viele hätten damals Uniformen getragen. „Sie waren nicht mehr nur sie selbst, sie gehörten dazu.“ Man habe sich mehr oder weniger arrangiert. „Wir saßen im Boot und draußen war der Feind.“ Sein Freund Hartmut, neben dem er im Gottesdienst saß, sei eines Tages eingezogen worden und bald darauf „fürs Vaterland gefallen“. Solche Nachrichten hätten damals zum Alltag gehört, die beklommen machten. Bei der Mitteilung „Vermisst“ sei manchmal noch ein Funken Hoffnung geblieben.

Mit 120.000 anderen Soldaten im Kriegsgefangenenlager
Der Ruhestands-Pastor Rudolf Götz schreibt: „Der 8.5.1945 war für uns Soldaten ein Freudentag, denn uns war bewusst geworden, dass das Töten an der Front und die Bombennächte endlich ein Ende hatten.“ Als 19-Jähriger wurde er in die Wehrmacht eingezogen. Im März 1945 kam er in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Das Gefangenenlager in Bad Kreuznach zählte 120.000 Soldaten. Nur wenige Soldaten kamen in einem Zelt unter. Rudolf Götz und viele andere lagen auf dem freien Feld bei Schnee, Nachtfrösten, Regen und Wind. Der Hunger plagte sie. Täglich starben etwa 135 Soldaten an Hunger, Kälte, Entkräftung und Verzweiflung. Sie wurden in einem Massengrab in der Nähe beigesetzt.

Nach dem 8.5.1945 begann man Soldaten zu entlassen. Zunächst nur welche aus den drei Berufsgruppen Eisenbahner, Bergarbeiter und Landwirte. Am 6. Juni 1945 hörte Götz seinen Namen über den Lagerlautsprecher mit der Aufforderung, zur Entlassungsbaracke zu kommen. „Das war eine Riesenfreude! Niemals werde ich diesen Tag vergessen!“ Da er Landwirt war, wurde er verpflichtet, in einem landwirtschaftlichen Betrieb zu arbeiten. Trotz Verwundung an der Front in den Vogesen und Kriegsgefangenschaft „bin ich Gott dankbar für seinen Schutz und seine Bewahrung“.

Schon vor zehn Jahren: Erklärung der Adventisten zur NS-Zeit
Bereits vor zehn Jahren, im Mai 2005 haben die Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland und Österreich eine gemeinsame „Erklärung zum 60. Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkriegs am 8.5.1945“ veröffentlicht. Darin beklagt die Freikirche „zutiefst, dass von unseren Ländern dieser furchtbare Krieg ausgegangen ist, der unermessliches Leid über die Menschheit gebracht hat – und dass auch Siebenten-Tags-Adventisten daran beteiligt waren“. „Dass der Charakter der NS-Diktatur nicht rechtzeitig und deutlich genug wahrgenommen und das widergöttliche Wesen der NS-Ideologie nicht klar erkannt wurde.“ „Dass sich in manchen unserer oder von uns verbreiteten Veröffentlichungen Aussagen finden, die Adolf Hitler huldigten und der rassistischen Ideologie des Antisemitismus in einer Weise Ausdruck gaben, die aus heutiger Sicht unfassbar ist.“ „Dass auch viele Siebenten-Tags-Adventisten an der Not und dem Leid ihrer jüdischen Mitbürger keinen Anteil nahmen.“

Weiter heißt es: „Wir bekennen aufrichtig, dass wir gegenüber dem jüdischen Volk, allen Verfolgten und vom Krieg Betroffenen und darüber hinaus auch gegenüber Adventisten in anderen Ländern durch unser Versagen schuldig geworden sind. Dafür bitten wir Gott und die noch lebenden Betroffenen demütig um Vergebung.“

Adventisten wollen deshalb dafür eintreten, „dass nie wieder ein Krieg gegen andere Völker von Deutschland oder Österreich ausgeht und dass niemand aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität oder Geschlecht ausgegrenzt und benachteiligt wird“. „Dass die Vergangenheit nicht in Vergessenheit gerät, sondern als bleibendes Mahnmal uns auch heute vor Augen steht.“ „Dass wir dazu fähig sind, die ‚Geister zu unterscheiden‘ und unseren Glauben auch dann mutig zu bekennen und konsequent
zu leben, wenn wir unsererseits in die ‚Stunde der Versuchung‘ geraten.“

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