Versöhnung zwischen Lutheranern und Mennoniten

Vollversammlung der Lutheraner legt Schuldbekenntnis ab

Stuttgart, 23.07.2010/APD In einem historischen Akt während eines Bußgottesdienstes haben sich der Lutherische Weltbund (LWB) und die Mennonitische Weltkonferenz (WMK) versöhnt. Mit einem einstimmig gefassten Schuldbekenntnis gegenüber den Mennoniten und Anabaptisten (Wiedertäufern) hatten zuvor die Delegierten der Elften Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes (LWB) mennonitische Christinnen und Christen um Vergebung für das Leiden der Täufer im 16. Jahrhundert gebeten. Weil die Mennoniten die Kindertaufe ablehnen und nur an Christus Glaubende taufen, wurden sie früher auch Täufer genannt.

Der LWB-Präsident, Bischof Mark S. Hanson (USA), sprach in diesem Zusammenhang von einem "beispiellosen Schritt der Wiedergutmachung". In der Erklärung heißt es, der LWB empfinde "tiefes Bedauern und Schmerz über die Verfolgung der Täufer durch lutherische Obrigkeiten und besonders darüber, dass lutherische Reformatoren diese Verfolgung theologisch unterstützt haben". Der Lutherische Weltbund bekundet "öffentlich sein tiefes Bedauern und seine Betrübnis". Im Schuldbekenntnis heißt es weiter: "Im Vertrauen auf Gott, der in Jesus Christus die Welt mit sich versöhnte, bitten wir deshalb Gott und unsere mennonitischen Schwestern und Brüder um Vergebung für das Leiden, das unsere Vorfahren im 16. Jahrhundert den Täufern zugefügt haben, für das Vergessen oder Ignorieren dieser Verfolgung in den folgenden Jahrhunderten und für alle unzutreffenden, irreführenden und verletzenden Darstellungen der Täufer und Mennoniten, die lutherische Autoren bis heute in wissenschaftlicher oder nichtwissenschaftlicher Form verbreitet haben."

Zum historischen Hintergrund: Mit Hilfe theologischer Argumente, wie etwa von Martin Luther (1483-1546) und Philip Melanchthon (1497-1560), wurden im 16. Jahrhundert Anabaptisten von Lutheraner brutal verfolgt und im Einzelfall auch hingerichtet. Auch die Reformierten in der Schweiz sowie die Katholiken verfolgten jahrhundertelang die Täufer. Viele wanderten deshalb nach Nord- und Lateinamerika aus.

Eine Internationale lutherisch-mennonitische Studienkommission hat zwischen 2005 und 2008 die Historie aufgearbeitet. Darauf aufbauend bestätigte der Rat des LWB im Oktober 2009 einstimmig die Bitte um Vergebung. Auch wenn weiterhin bedeutende theologische Unterschiede bestünden, könnten diese nun im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Erbe der Verfolgung in einem neuen Klima untersucht werden.

Das Schuldbekenntnis enthält auch eine Selbstverpflichtung, wonach der LWB dafür Sorge tragen will, "die lutherischen Bekenntnisschriften im Licht der gemeinsam beschriebenen Geschichte von Lutheranern und Mennoniten zu interpretieren; […], dass diese Entscheidung des Lutherischen Weltbundes Einfluss darauf hat, wie die lutherischen Bekenntnisse an den Hochschulen und in anderen Bereichen des kirchlichen Unterrichts gelehrt werden; die Untersuchung von bisher ungelösten Fragen zwischen unseren beiden Traditionen im Geist wechselseitiger Offenheit und Lernbereitschaft fortzuführen, vor allem was die Taufe und das Verhältnis von Christen und Kirche zum Staat betrifft; den gegenwärtigen Konsens, der in den Erfahrungen unserer Kirchen über Jahrhunderte gewonnen worden ist, zu bekräftigen, dass der Gebrauch der Staatsgewalt zum Ausschließen oder Aufzwingen bestimmter religiöser Überzeugungen zu verwerfen ist; uns dafür einzusetzen, dass Religions- und Gewissensfreiheit in den politischen Ordnungen und in den Gesellschaften gewahrt und aufrechterhalten werden; unsere Kirchen und vor allem die Ortsgemeinden anzuspornen, Wege zu suchen, um die Beziehungen zu mennonitischen Gemeinden fortzuführen und zu vertiefen durch gemeinsame Gottesdienste und Bibelstudien, durch gemeinsames humanitäres Engagement und durch gemeinsame Arbeit für den Frieden".

Für die Mennonitische Weltkonferenz (MWK) nahm Präsident Danisa Ndlovu aus Simbabwe das Schuldeingeständnis des LWB an: "Wir sind tief bewegt von Ihrem Geist der Busse und von Ihrer Bitte um Vergebung. Wir glauben, dass Gott heute Ihr Bekenntnis gehört hat und Ihrer Bitte um Vergebung entsprochen hat. Wir schließen uns Gott freudig und demütig an, Ihnen zu vergeben." Zugleich könnten die Mennoniten nicht an diesen Punkt kommen, ohne die eigene Sündhaftigkeit nicht zu sehen, räumte Ndlovu ein.

"Im Vertrauen auf Gott, der durch Jesus die Welt mit sich selbst versöhnt hat, haben Sie nicht nur um Vergebung für vergangenes Handeln gebeten, sondern haben in Ihrer Initiative Integrität bewiesen, indem Sie konkrete Verpflichtungen für weiteres Handeln eingegangen sind. Wir sind dankbar für diese Verpflichtungen“, betonte der MWK-Präsident. Im Gegenzug verpflichte sich die Mennonitische Weltgemeinschaft, „die Interpretationen der lutherisch-anabaptistischen Geschichte, die die von der Internationalen lutherisch-mennonitischen Studienkommission gemeinsam formulierte Darstellung der Geschichte ernst nimmt, zu fördern; dafür zu sorgen, dass Ihre Versöhnungsinitiative in den anabaptistisch-mennonitischen Lehren über Lutheraner bekannt und anerkannt wird; die Gespräche zu ungelösten Fragen, die noch zwischen Ihrer und unserer Tradition stehen, in einem Geist gegenseitiger Verwundbarkeit und Offenheit für das Werk des Heiligen Geistes, mit Ihnen fortzusetzen und unsere Mitgliedskirchen, deren einzelne Gemeinden und Institutionen zu ermuntern, im Dienst für die Welt umfassendere Beziehungen und stärkere Zusammenarbeit mit Lutheranern anzustreben".

Im Namen aller Mennoniten überreichte Ndlovu verbunden mit einer freundschaftlichen Umarmung als Gegengabe zum Bußakt der Lutheraner ein historisches hölzernes Gefäß, wie es in der anabaptistischen Tradition zur biblischen Fußwaschung verwendet wird.

Im Anschluss an die Verabschiedung der Erklärung gingen die Delegierten der Vollversammlung und die mennonitischen Gäste in einer von Gesang untermalten Prozession zur sogenannten Reithalle, um gemeinsam einen Bußgottesdienst zu feiern. In sechs persönlichen und bewegenden Zeugnissen beschrieben Mennoniten und Lutheraner die Verfolgung und die heutigen Zeichen von Vergebung und Hoffnung. Das gegenseitige Zeichnen von Kreuzen mit Olivenöl auf die Hand des Nachbarn beziehungsweise der Nachbarin symbolisierte Heilung und Frieden als Zeichen der Versöhnung.

Der Name Mennoniten (1496-1561) leitet sich von dem niederländisch-friesischen Theologen Menno Simons ab, der 1536 sein katholisches Priesteramt aufgab, heiratete und sich den Täufern anschloss.

Zur Mennonitischen Weltkonferenz (WMK) zählen 227 Mennoniten- und Brüder-in-Christo-Kirchen in 80 Ländern mit über 1,6 Millionen Mitgliedern. Der Lutherische Weltbund umfasst gegenwärtig als Gemeinschaft lutherischer Kirchen 145 Mitgliedskirchen in 79 Ländern, denen rund 70,1 Millionen Christen angehören.
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