Kiew/Ukraine, 30.09.2007/APD Als „Laboratorium“ einer größeren Ökumene, in dem in der Ukraine das friedliche Zusammenleben von 75 offiziell anerkannten Religionsgemeinschaften geübt werde, hat der griechisch-katholische Großerzbischof von Kiew und Halytsch, Kardinal Lubomyr Husar (74), die Ukraine bezeichnet. Bei einer Begegnung mit internationalen Journalisten wenige Tage vor den Parlamentswahlen sagte der Kardinal in Kiew, die Situation im Lande sei „multikonfessionell“, die Vielfalt religiöser Traditionen groß. Viele Menschen sähen in dieser Vielfalt eine „Tragödie“, so Husar, einige jedoch, darunter er selbst, würden sie als „Reichtum und Chance“ begreifen.
Als Beispiel für das Gelingen des friedlichen Zusammenlebens nannte Husar den im September 1996 gegründeten „All-Ukrainischen Rat der Kirchen und religiösen Organisationen“ (AUCCRU), in dem 19 Vertreter der orthodoxen und protestantischen Kirchen, der römisch-katholischen Kirche sowie des Judentums und Islams vertreten seien. Bei den Beratungen dieses Gremiums gehe es nicht um theologische Sachfragen, sondern um die Erarbeitung von Lösungen und Ideen für praktische Fragen des Miteinanders. So habe der AUCCRU 2006 beispielsweise eine Erklärung zu den Spannungen verabschiedet, welche die Sprachensituation in der Ukraine hervorrief und vor ernsthaften politischen oder gesellschaftlichen Spaltungen gewarnt. Auch aus Anlass der Parlamentswahlen vom 30. September habe man sich mit einem Aufruf zu Gerechtigkeit und Solidarität bei den Bürgern zu Wort gemeldet und zur Stimmabgabe aufgefordert.
Im Gespräch mit den Journalisten, die sich auf einer Medienreise in die GUS-Staaten befanden, nahm der Kardinal auch zur so genannten „orangefarbenen Revolution“ Stellung. Der als „Orangene Revolution“ bekannt gewordene politische Umbruch im Jahr 2004, bei dem der amtierende Präsident Wiktor Juschtschenko an die Macht kam, stelle laut Husar „nicht nur ein politisches Geschehen“ dar. Vielmehr sei in den Protesten der Bevölkerung „ein Begehren nach Wahrheit und Gerechtigkeit“ artikuliert worden. Dass dieses Begehren von Juschtschenko aufgenommen und politisch umgesetzt wurde, sei eher ein Zufall gewesen so Husar. Es sei „nie um Juschtschenko als Person gegangen, sondern immer um die Idee dahinter“. Nur so wäre zu erklären, dass selbst Kommunisten sich den Ideen der „orangen Revolution“ angeschlossen hätten. Das Problem sei jedoch, dass „die Politiker offensichtlich die Absichten der Revolutionäre nicht verstanden“ hätten und nun Frust und Stagnation herrschten. Das Kirchenoberhaupt ließ dabei offen, ob die Ergebnisse der vorgezogenen Parlamentswahlen vom 30. September eine Beruhigung in die gegenwärtige politische Lage bringen und den politischen Stillstand beenden könnten, in dem sich das osteuropäische Land seit Monaten befindet.
Bei dem Umsturz von 1989 hätten die Kirchen laut Husar „keine große Rolle gespielt“, da ihnen bis auf die Russische Orthodoxe Kirche die Hände gebunden gewesen seien. Das habe freilich nicht verhindert, dass sich einzelne Christen am Widerstand beteiligten. Während dieser Zeit der Verfolgung habe es unter den unterdrückten Kirchen eine enge und gute Zusammenarbeit gegeben. Diese sei jedoch nach dem Ende der Sowjetherrschaft eingestellt worden. Wörtlich sagte Husar: „Beim Schritt in die Freiheit ist etwas geschehen, dass ich bis heute nicht verstehen kann: die vormals gute Zusammenarbeit zwischen den Kirchen schlug plötzlich in Feindseligkeit um.“ Dabei sei zu berücksichtigen, dass oft Feindschaften nicht-religiösen Ursprungs unter den Gläubigen in den Kirchen ausgetragen wurden. Heute habe sich die Situation wieder entspannt.
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