Ein Kämpfer bis zuletzt - Erinnerungen an Ludwig Baumann zu seinem 100. Geburtstag

Denkmal für Deserteure und andere Opfer der NS-Militärjustiz in Hamburg.

© Foto: Holger Teubert/APD

Ein Kämpfer bis zuletzt - Erinnerungen an Ludwig Baumann zu seinem 100. Geburtstag

APD

Die Dokumentation Erinnerung an Ludwig Baumann zum 13. Dezember 2021, seinem 100. Geburtstag, greift Facetten des Abschieds von ihm auf und versucht, in zusammenfassender Rückschau zu vermitteln, welche Resonanz sein Wirken gehabt hat. Neben der Fülle öffentlicher Zeugnisse und dem persönlichen Abschiednehmen hat sein Tod auch gänzlich unerwartete behördliche Reaktionen ausgelöst, die zu Widerspruch aufgerufen und damit politische Reflexionen angestoßen haben. Ludwig Baumann hat damit noch über seinen Tod hinaus zugunsten überlebender NS-Opfer gewirkt.

Als Fahnenflüchtiger zum Tode verurteilt

Ludwig Baumann wurde am 13. Dezember 1921 in Hamburg-Dammtor geboren. Er absolvierte eine Maurerlehre und leistete den Reichsarbeitsdienst beim Deichbau in Ostpreußen ab. Im Februar 1941 erfolgte die Einberufung zur Kriegsmarine in Belgien und ab Juni 1941 wurde er als Wachsoldat einer Hafenkompanie in Bordeaux/Frankreich eingesetzt. Am 3. Juni 1942 desertierte er zusammen mit einem Kameraden, weil er erkannt habe, dass Deutschland einen „verbrecherischen, völkermörderischen Krieg“ führte. Am Tag der Desertion verhafteten ihn deutsche Grenzposten. Am 30. Juni 1942 wurde er wegen „Fahnenflucht im Felde“ zum Tod verurteilt. Davon, dass das Todesurteil in eine zwölfjährige Zuchthausstrafe umgewandelt wurde, erfuhr Baumann erst nachdem er zehn Monate in Todesangst in der Todeszelle eines Wehrmachtsgefängnisses verbracht hatte. Der „Begnadigte“ kam ins KZ Esterwegen im Emsland und danach ins Wehrmachtsgefängnis Torgau. Er überlebte verwundet den Einsatz in einem Strafbataillon, in der sogenannten Bewährungstruppe 500, in besonders gefährdeten Abschnitten an der Ostfront.

Nach Heimkehr aus Kriegsgefangenschaft geächtet

Nach der Rückkehr aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft hatte er es schwer in einer Gesellschaft, in der Deserteure noch immer als „Feiglinge“ geächtet wurden. 1990 gründete er mit etwa 40 noch lebenden Wehrmachtdeserteuren sowie einigen engagierten Wissenschaftlern und Historikern die Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz. Ziel der Vereinigung war eine Aufhebung der Unrechtsurteile gegen Deserteure, „Wehrkraftzersetzer“, „Kriegsverräter“, Selbstverstümmler und andere Opfer der NS-Militärjustiz durchzusetzen, sowie deren vollständige Rehabilitierung. Was als Tabubruch und Provokation begann, führte nach beharrlichem Kampf zu einer konstruktiven gesellschaftlichen Debatte und der sehr späten gesetzlichen Rehabilitierung: Das NS-Unrechtsaufhebungsgesetz von 1998 rehabilitierte Kriegsdienstverweigerer und Wehrkraftzersetzer, das erste Ergänzungsgesetz 2002 pauschal homosexuelle NS-Opfer und die Deserteure der Wehrmacht, das zweite NS-Unrechtsaufhebungsgesetz 2009 schließlich auch die wegen Kriegsverrats verurteilten Opfer der NS-Militärjustiz.

„Ein Beitrag für den Frieden“

Insgesamt seien laut der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz während des Zweiten Weltkrieges über 30.000 Deserteure zum Tod verurteilt und davon rund 23.000 hingerichtet worden. Mehr als 100.000 von der NS-Militärjustiz verurteilte Soldaten hätten KZ, Straflager und Strafbataillon nicht überlebt. Erst in seinem Grundsatzurteil vom 16. November 1995 habe der Bundesgerichtshof die Wehrmachtjustiz als eine „Blutjustiz“ gebrandmarkt, „deren Richter sich wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Kapitalverbrechen hätten verantworten müssen“. Doch nicht einer der Wehrmachtrichter sei in der Bundesrepublik Deutschland jemals bestraft worden. Baumann zeigte sich davon überzeugt, dass auch heute Kriegsverrat „ein Beitrag für den Frieden und eine gerechtere Welt“ wäre.

Auch Kriegsdienstverweigerer gingen in den Tod

Zu den Opfern der NS-Militärjustiz gehöre auch die Gruppe der Kriegsdienstverweigerer, die bereit gewesen sei, für ihre Überzeugung keine Waffe in die Hand zu nehmen, in den Tod zu gehen, betonte Holger Teubert, früherer Leiter des Referats Kriegsdienstverweigerung und Frieden der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland. August Dickmann sei als erster deutscher Kriegsdienstverweigerer im Zweiten Weltkrieg am 15. September 1939 öffentlich hingerichtet worden. Er war Zeuge Jehovas.

Nach Angaben von Historikern wurden bis 1945 etwa 250 deutsche und österreichische Zeugen Jehovas vom Reichkriegsgericht wegen Kriegsdienstverweigerung zum Tode verurteilt und in der Regel durch das Fallbeil getötet. Namentlich seien elf römisch-katholische und drei Kriegsdienstverweigerer aus evangelischen Landeskirchen bekannt, die im Zweiten Weltkrieg zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden. Aus den evangelischen Freikirchen wurden wegen Kriegsdienstverweigerung neun Siebenten-Tags-Adventisten, ein Baptist und ein Mitglied der Gemeinschaft der Christadelphian hingerichtet, so Teubert.

Gedenkstätte für Kriegsdienstverweigerer in Hamburg

Ein Denkmal für Deserteure und andere Opfer der NS-Militärjustiz wurde am 24. November 2015 in Hamburg zwischen Stephansplatz und Dammtor eingeweiht. „Das Umdenken kam spät. Nicht zu spät, aber doch beschämend spät“, betonte der damalige Erste Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz in seiner Ansprache. Für Ludwig Baumann sei dennoch „ein später Traum in Erfüllung“ gegangen.

Der Dokumentationsband „Ludwig Baumann: Ein Kämpfer bis zuletzt“ kann als PDF-Datei im Internet heruntergeladen werden: http://upgr.bv-opfer-ns-militaerjustiz.de/uploads/Dateien/Stellungnahmen/LBKaempferbiszuletzt202108.pdf

Informationen zur Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz unter www.bv-opfer-ns-militaerjustiz.de.