Adventistische Kirche bei Gründung mit Krieg konfrontiert
Während einer Versammlung vom 20. bis 24. Mai 1863 in Battle Creek/Michigan (USA) wurde die Generalkonferenz der Siebenten-Tags-Adventisten als oberste Kirchenleitung gegründet. Sie umfasste sechs regionale Leitungen, „Vereinigungen“ genannt, mit 3.500 Adventisten in 125 Kirchengemeinden, die von 30 Pastoren betreut wurden. Die Gründung der Seventh-day Adventist Church geschah mitten im Amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865). Die Kirche war damals nur in den Unionsstaaten (Nordstaaten) vertreten. Bei den Konföderierten in den Südstaaten hatte sie noch keine Mitglieder. Die Adventisten waren gegen das Halten von Sklaven. Wer von ihnen am 6. November 1860 zur Wahl ging, wählte Abraham Lincoln, der mit klarer Mehrheit zum 16. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde.
Als der Krieg am 12. April 1861 begann, rechnete jeder mit einem schnellen Sieg der Unionsstaaten. Deshalb wurden zunächst auch nur Freiwillige zu den Waffen gerufen. Je länger der Krieg dauerte, umso mehr Soldaten wurden benötigt. Um die Einschreibung zum Militär zu fördern, bildeten sich in vielen Städten Bürgerkomitees. Sie sammelten Geld und zahlten jedem jungen Mann, der sich freiwillig als Soldat meldete, ein Handgeld von 25 Dollar, das bald auf 100 Dollar stieg. Da die Adventisten eine allgemeine Wehrpflicht, die auch sie betroffen hätte, verhindern wollten, beteiligten sich James White und andere leitende Mitglieder der adventistischen Kirche an den Bürgerkomitees und sammelten ebenfalls Geld zur Bezahlung der Prämie, die den Freiwilligen geboten wurde. Die damaligen Adventisten sahen es als notwendig an, denjenigen finanzielle Anreize zu bieten, die wegen des Militärdienstes keine religiösen Bedenken hatten.
Als die Nordstaaten auf freiwilliger Basis nicht mehr genug Soldaten bekamen, trat am 3. März 1863 das erste Konskriptionsgesetz (Wehrpflichtgesetz) der Union in Kraft, nach dem alle Männer von 20 bis 35 Jahren, unverheiratete bis 45 Jahren, der Militärpflicht unterworfen waren. Man konnte sich jedoch der Einberufung entziehen, wenn man entweder einen Ersatzmann stellte oder 300 Dollar zahlte. 300 Dollar waren immerhin zwei Drittel des Jahreseinkommens eines Arbeiters. Einberufene Adventisten versuchten diese Summe aufzubringen, um vom Kriegsdienst befreit zu werden.
Am 4. Juli 1864 wurde das Wehrpflichtgesetz verschärft. Die Befreiungsvorschriften galten jetzt nur noch für Mitglieder religiöser Gemeinschaften, die „aus Gewissensgründen gegen das Waffentragen sind“. Daraufhin beantrage die noch junge Kirche im August 1864 die Befreiung vom Kriegsdienst bei den Gouverneuren der US-Bundesstaaten Michigan und Illinois. Beachtenswert ist, dass nur von der Befreiung vom Waffentragen die Rede war, nicht von einer Dienstbefreiung überhaupt. Den Anträgen wurde stattgegeben. Daraufhin erkannte auch die Unionsregierung in der US-Hauptstadt Washington die Adventisten als Nichtkämpfer an. Alternativ zum Waffendienst konnten Nichtkämpfer Dienst in Militärlazaretten leisten, für befreite Sklaven sorgen oder 300 Dollar zahlen. Welche Alternative infrage kam, entschied allerdings nicht der Einberufene, sondern die Militärbehörde. Da ständig neue Soldaten benötigt wurden, kam es immer häufiger vor, dass Adventisten der Status als Nichtkämpfer verweigert wurde, sodass sie gegen ihren Willen zur kämpfenden Truppe kamen. In solch einer Situation blieb es der persönlichen Gewissensentscheidung des Einberufenen überlassen, ob er den Befehlen seiner Vorgesetzten gehorcht und Waffendienst leistet oder die Konsequenzen (Kriegsgericht mit möglichem Todesurteil) wegen Befehlsverweigerung auf sich nimmt.
Der Amerikanische Bürgerkrieg wegweisend für Adventisten
Das Verhalten der Seventh-day Adventist Church im Amerikanischen Bürgerkrieg war wegweisend für die künftige Haltung der Adventisten zum Militärdienst (124). Es ergab sich, dass Adventisten keine Pazifisten sind, die jeglichen militärischen Dienst, ob mit oder ohne Waffe, konsequent ablehnen. Sie sind stattdessen Nichtkämpfer. Werden Adventisten einberufen, sind sie zu waffenlosem Dienst beim Militär bereit (beispielsweise waffenloser Sanitätsdienst, aber auch zivile Ersatzdienste). Wird solch ein Nichtkämpferdienst verweigert, muss jeder selbst vor seinem Gewissen und damit vor Gott entscheiden, ob er eine Waffe in die Hand nimmt und sie gegebenenfalls auch benutzt.
Das Buch „Adventists and Military Service“ erschien im Auftrag des Biblischen Forschungskomitees der Intereuropäischen Division (EUD-BRC), die Kirchenleitung der Siebenten-Tags-Adventisten in West- und Südeuropa mit Sitz in Bern. Die von adventistischen Theologen in englischer Sprache geschriebene Veröffentlichung möchte Mitgliedern der Freikirche Orientierungshilfe zu Fragen des Militärdienstes und der Kriegsdienstverweigerung geben.
Kriegsdienst und Bibel
Im ersten Kapitel des Werkes befasst sich Barna Magyarosi, Vorsitzender des EUD-BRC, mit dem Thema „Gewalt und Krieg im Alten Testament“. Er kommt zu dem Schluss, dass selbst die „heiligen Kriege“, die Israel in alttestamentlicher Zeit im Namen ihres Gottes Jahwe führte, die Beteiligung eines Christen am Kriegsdienst nicht rechtfertigen (19).
Johannes Kovar, Dozent für Neues Testament und Griechisch am adventistischen Theologischen Seminar Schloss Bogenhofen bei Braunau am Inn/Österreich, schrieb in Kapitel 2 den Artikel „Krieg und Gewaltfreiheit im Neuen Testament“. Zwar hätten Christus und die Apostel den Kriegsdienst nicht ausdrücklich verboten, doch habe Jesus durch sein Vorbild und seine Predigten deutlich gemacht, dass seine Nachfolger Friedensstifter sein sollten (66). Christen sollten sich deshalb nicht an Krieg und Gewalt beteiligen. Wenn Paulus schreibt, dass Christen der Obrigkeit untertan sein sollen, „denn sie trägt das Schwert nicht umsonst“ (Römer 13,1-4), dann meint der Apostel, dass der Staat sein Schwert zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der zivilen Gesellschaft von Gott erhalten habe, aber nicht zum Krieg führen (56-58).
Ethnische Konflikte
In Kapitel 3 geht es um Volkszugehörigkeit und ethnische Konflikte. Kwabena Donkor, der aus Ghana stammende stellvertretende Direktor des Biblischen Forschungsinstituts (BRI) der Generalkonferenz (Weltkirchenleitung) der Siebenten-Tags-Adventisten in Silver Spring, Maryland/USA, erinnert an Auseinandersetzungen zwischen Serben und Kroaten, Armeniern und Aserbaidschanern, Hutus und Tutsis, Ulster Protestanten und Katholiken, Palästinenser und Israelis sowie Tamilen und Singhalesen. In Afrika habe es zwischen 1989 und 2004 mehr ethnische Konflikte gegeben als auf anderen Kontinenten (67). Davon seien auch die Siebenten-Tags-Adventisten betroffen, denn von den über 21,5 Millionen Mitgliedern der weltweiten Freikirche leben mehr als neun Millionen auf dem afrikanischen Kontinent. Die Probleme wären derart komplex, dass ethnische Vorurteile von Einzelpersonen oder Gruppen nicht einfach verschwinden würden, wenn sich jemand der adventistischen Kirche durch die Taufe anschließt (86). Wer hier vermitteln wolle, müsse einen genauen Einblick in die jeweilige Problematik haben.
Gerechter Krieg und Friedenskirchen
Einen kirchengeschichtlichen Überblick zum Militärdienst und der Theorie des gerechten Krieges vermittelt in Kapitel 4 Zoltán Szallós-Farkas, Professor für Systematische Theologie an der Adventus Hochschule in Cernica/Rumänien. In der frühen Christenheit war es unvereinbar, gleichzeitig Soldat und Mitglied der Kirche zu sein. Christen, die sich als Soldaten anwerben ließen, wurden aus der Kirche ausgeschlossen (9). Das änderte sich erst, als der römische Kaiser Konstantin (306-337 n. Chr.) sich zum Christentum bekannte, sodass es 380 n. Chr. schließlich Staatsreligion wurde. Der Autor erläutert, wie die Lehre vom gerechten Krieg entstand und sich im Laufe der Jahrhunderte bis in die Gegenwart entwickelte. Als Gegenbewegung bildeten sich die historischen Friedenskirchen, wie die Mennoniten, Church of the Brethren (Kirche der Brüder) und die Religiöse Gesellschaft der Freunde (Quäker), welche den Militärdienst ablehnen (113).
Was sind Adventisten?
In Kapitel 5 stellt Douglas Morgan, Professor für Geschichte und Politikwissenschaft an der Washington Adventist Universität in Takoma Park, Maryland/USA, die Frage: Sind Adventisten Pazifisten, unbewaffnete Militärangehörige aus Gewissensgründen oder Soldaten mit einem Kampfauftrag? Am 14. Mai 1867 fand turnusmäßig die fünfte jährliche Generalkonferenz-Vollversammlung der Adventisten statt. Rückblickend auf den Amerikanischen Bürgerkrieg wurde beschlossen: „Dass es das Votum dieser Konferenz ist, dass das Tragen von Waffen oder die Beteiligung am Krieg eine direkte Verletzung der Lehren unseres Erlösers und des Geistes und Buchstabens des Gesetzes Gottes bedeutet“ (117). Als dieser Beschluss gefasst wurde, gab es in den Vereinigten Staaten keine Wehrpflicht mehr.
Aber so eindeutig wie 1867 beschlossen handelten nicht alle wehrpflichtigen Adventisten während des Bürgerkrieges. Morgan beruft sich auf den adventistischen Historiker Kevin M. Burton der herausfand, „dass die Zahl der Siebenten-Tags-Adventisten, die im Bürgerkrieg als Militärangehörige gedient haben, viele von ihnen als Freiwillige, weit höher ist, als bisher vielfach angenommen wurde“ (123). So gab es Adventisten, die sich mit 350 US-Dollar vom Militär freikaufen konnten, andere dienten als Nichtkämpfer ohne Waffe und wiederum andere, denen der Nichtkämpferstatus bei der Truppe verweigert wurde, gaben dem Druck nach und nahmen die Waffe in die Hand. Doch es gab auch Adventisten, die freiwillig Waffendienst leisteten.
Zwar erwähnt es Morgan nicht, doch es passt zur Forschung von Burton, dass James White (1821-1881), Mitbegründer der adventistischen Kirche, im Winter 1864/65 für die Adventisten, welche sich bei der Truppe befanden, einen „Soldatentraktatfonds“ einrichtete, damit sie ihre Kameraden kostenlos mit adventistischer Literatur versorgen konnten. Schließlich musste jeder dritte wehrpflichtige Adventist mit der Einberufung zum Militär rechnen. Nur das rasche Ende des Bürgerkrieges am 9. April 1865 verhinderte noch größere Probleme mit dem Kriegsdienst.
Wehrpflicht in Europa
Vom 18. August 1885 bis zum 3. August 1887 befand sich die Mitbegründerin der adventistischen Kirche, Ellen G. White (1827-1915), in Europa, so Douglas Morgan. Sie besuchte England, Dänemark, Schweden, Norwegen, Italien, Frankreich, die Schweiz und Deutschland. Während dieser Zeit wurde sie auch mit dem Militärdienst von Adventisten in Europa konfrontiert. Als sie 1886 in Basel war berichtete sie, dass drei adventistische Angestellte des Basler Verlagshauses der Kirche zu einer dreiwöchigen Wehrübung einberufen wurden. „Frau White lobte die jungen Männer und ihre Handlungsweise ausdrücklich und betonte, dass sie die Militärübungen nicht freiwillig absolvierten, sondern ‚weil die Gesetze ihres Landes dies erforderten‘" (126f.).
Die Wehrpflicht gab es in den meisten Ländern Europas. Auch Adventisten waren davon betroffen und folgten ihrem Einberufungsbefehl berichtet in Kapitel 6 Daniel Heinz, Leiter des Historischen Archivs der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Europa an der Theologischen Hochschule Friedensau bei Magdeburg (138). Wenn damals in Europa Wehrpflichtige gegen ihren Willen zu Militärdiensten gezwungen wurden, war eine Kriegsdienstverweigerung nur als Desertation möglich und wurde hart bestraft. Selbst die im 19. Jahrhundert entstandenen Friedensgesellschaften in Kontinentaleuropa lehnten die Kriegsdienstverweigerung bis 1918 meist ab. Nur für Mennoniten gab es in einigen europäischen Ländern zumindest zeitweise Ausnahmeregelungen (138).
Eine schleichende Veränderung
Seit 1950 sieht Morgan besonders in den USA bei den Adventisten „eine schleichende, aber bedeutende Veränderung im Denken und in der Praxis von der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen zur bewussten Kooperationsbereitschaft“ (10). In den USA gründete die Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg die National Service Organization (Nationale Dienstorganisation – NSO) für adventistische Wehrpflichtige. Sie fungierte als Verbindungsstelle zwischen der Kirche und dem Pentagon (US-Verteidigungsministerium). Die NSO befasste sich mit Problemen, die adventistische Dienstleistende aufgrund ihres Glaubens hatten, führte für sie Klausurtagungen durch und koordinierte eine Sanitätsausbildung zur Vorbereitung auf den waffenlosen Dienst in den Streitkräften (132).
Nach dem Rückzug der Amerikaner aus Vietnam 1973 wurde im gleichen Jahr die Wehrpflicht in den USA ausgesetzt. Die Streitkräfte mussten jetzt selbst Freiwillige anwerben. Zwar empfahl die adventistische Kirchenleitung ihren Mitgliedern sich nicht freiwillig zum Militär zu melden (132), wer sich jedoch anders entschied, dessen Absicht wurde akzeptiert (133). So kam es, dass beispielsweise am Golfkrieg (1990-1991) zwischen 2.000 und 2.500 Adventisten – Männer und Frauen – als Soldaten teilnahmen, die meisten davon bewaffnet (133).
Nicht nur Patriotismus
In Kapitel 7 des Buches erläutert Frank M. Hasel, wie Donkor stellvertretender Direktor des BRI der Generalkonferenz, warum die US-Streitkräfte für manche Adventisten so attraktiv sind, sodass sie sich dort sogar als bewaffnete Soldaten verpflichten. Als 1973 die Wehrpflicht in den USA ausgesetzt wurde, sah die NSO keinen Grund mehr junge Adventisten auf ihren Dienst in den Streitkräften vorzubereiten. Sie zog ihr Personal ab um Kosten zu sparen. Auch in adventistischen Kirchengemeinden und Schulen war Kriegsdienstverweigerung kaum noch ein Thema, sodass die Jugendlichen keine Orientierungshilfe mehr erhielten. Um junge Menschen für den Militärdienst zu gewinnen, machen die Rekrutierungsoffiziere interessante Angebote (152f.): Etwa eine Berufsausbildung, die spätere Übernahme in den Polizeidienst oder bei länger dienenden die Finanzierung eines Hochschulstudiums. Migranten können nach Ablauf des Wehrdienstes schneller eingebürgert werden. Es ist nicht nur Patriotismus der Männer und Frauen veranlasst Militärdienst zu leisten.
Wer eine Waffe in die Hand nimmt, ist auch bereit sie zu gebrauchen
Douglas Morgen erinnert an den damaligen norwegischen Präsidenten der adventistischen Generalkonferenz (Weltkirchenleitung), Jan Paulsen, der in der März-Ausgabe 2008 der internationalen Zeitschrift der Freikirche „Adventist World“ betonte: „Krieg, Frieden und die Beteiligung am Militärdienst sind keine wertneutralen Angelegenheiten." Er verwies auf die Resolution der Generalkonferenz-Vollversammlung aus dem Jahr 1867. Wer eine Waffe in die Hand nehme, sei auch bereit, sie zu gebrauchen, um einem anderen das Leben zu nehmen, so Paulsen. Ein Geschöpf Gottes zu töten, und sei es einen „Feind“, widerspreche dem, was die Freikirche für heilig und recht ansehe. Der adventistische Kirchenpräsident nahm mit seinem Artikel indirekt Bezug zum Verhalten von Adventisten in den USA, die, da es dort keine Wehrpflicht mehr gibt, freiwillig in die Streitkräfte eintreten (117f.).
„Ungehorsame“ Adventisten
Daniel Heinz, Leiter des Historisches Archivs der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Europa an der Theologischen Hochschule Friedensau bei Magdeburg, befasst sich in Kapitel 6 mit der „Adventistischen Opposition gegen Kriege in Europa: Beispiele von fehlender Konformität und Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen“. Bei der fehlenden Konformität ging es beispielsweise in Deutschland nicht nur um einen waffenlosen Dienst. Sich nicht anpassen zu wollen konnte unter anderem bedeuten: keine Verwendung des Hitlergrußes, Ablehnung des militärischen Eides, Verweigerung der Arbeit am Sabbat (Samstag), Strafe wegen verbotenem Gottesdienstbesuch, Hilfe für verfolgte Juden und feindliche Kriegsgefangene (135). Es handelte sich dabei um einzelne „ungehorsame“ an die herrschende politische Ideologie nicht angepasste Adventisten, die ihrem Gewissen folgten. Oft galten sie als „Fremde“ in ihrer eigenen Kirchengemeinde (136).
„Da es in den Ländern Kontinentaleuropas in den Militärgesetzen keine Anordnungen für Nichtkämpfer gab und schon gar nicht die Möglichkeit einer Kriegsdienstverweigerung, rückten Adventisten zwangsläufig in die Streitkräfte ein, sodass sie mehr oder weniger uneingeschränkt dienten“, so Heinz (138). Dennoch gab es eine ganze Anzahl von ihnen, die als Nichtkämpfer ohne Waffe dienen konnten (137), etwa als Sanitäter, Schreiber, Pferdepfleger oder Offiziersbursche (140). In Deutschland kamen wehrpflichtige Adventisten von 1902 bis 1913 wegen Dienstverweigerung beim Militär am Sabbat in Konflikt. Aus dieser Zeit sind etwa 40 Adventisten namentlich bekannt, die wegen des Ruhetages immer wieder verurteilt wurden, so Julius Mügge, der über fünf Jahre in Haft kam (138f.).
Als der Erste Weltkrieg ausbrach, sollten die wehrpflichtigen Adventisten nach Meinung ihrer deutschen Kirchenleitung Militärdienst leisten und „auch am Sabbat kämpfen“, da das Vaterland angegriffen werde und sich verteidigen müsse (139f.). Doch nach dem Krieg verurteilte die adventistische Generalkonferenz die deutsche Haltung zum Krieg, sodass die verantwortlichen Leiter 1923 ihre abweichende Stellungnahme schriftlich zurückzogen und ihre Übereinstimmung mit dem Nichtkämpferstandpunkt ihrer weltweiten Kirchenleitung erklärten (131f.).
Ungeachtet der Stellungnahme ihrer Kirchenleitung kamen laut Daniel Heinz im Ersten Weltkrieg in Deutschland etwa 20 Adventisten wegen Dienstverweigerung in Festungshaft. Fünf von ihnen wurden, um ihren Widerstand zu brechen, so schwer misshandelt, dass sie im Militärgefängnis oder bald nach Kriegsende starben. Unter ihnen war auch Eugen Geselle (1881-1919), der bis zu seinem Tod trotz seiner anderen Handlungsweise ein „treues“ Mitglied seiner Kirche war (140f.).
Nichtkämpfer im Ersten Weltkrieg in Europa
In Rumänien diente laut Heinz beispielsweise Petre P. Paulini (1882-1953), der spätere Präsident der dortigen Adventisten, im Ersten Weltkrieg als Nichtkämpfer; zunächst als Sanitäter, dann bis 1918 als Feldwebel in der Schreibstube (140). In Italien weigerte sich der spätere Missionar Alberto Michele Long (1887-1986) eine Waffe in die Hand zu nehmen und wurde zu 25 Jahren Haft verurteilt. Durch eine Amnestie kam er 1919 frei (141). In Großbritannien gab es 130 Adventisten, die Nichtkämpfer waren. 14 von ihnen hatten am Sabbat nicht dienstfrei, sodass sie sich weigerten an ihrem Ruhetag zu arbeiten. Sie kamen in das berüchtigte Gefängnis in Dartmoor, wo sie schwere Misshandlungen erlitten, um sie zum Nachgeben zu zwingen (142). In Russland wurden etwa 500 Adventisten in die Armee des Zaren einberufen. Viele waren Sanitäter oder leisteten andere Nichtkämpferdienste. 70 lehnten jedoch jeglichen militärischen Dienst ab, sodass 37 zu Gefängnisstrafen oder zur Verbannung nach Sibirien verurteilt wurden (143).
Nichtkämpfer im Zweiten Weltkrieg in Deutschland
Obwohl ab 1920 in Deutschland junge Adventisten auf Anraten ihrer Kirchenleitung „Rot-Kreuz-Kurse“ absolvierten, um bei einer eventuellen Einberufung als Sanitäter dienen zu können (144), kamen 1942 von 3.735 adventistischen Soldaten nur 14 Prozent in eine Sanitätseinheit (138). „Trotz weitverbreitetem Patriotismus gab es nur wenige Ausnahmefälle in denen Adventisten eindeutig von der NS-Ideologie beeinflusst waren“, so Heinz (138). „Viele Einberufene versuchten ihr Bestes, um Gottes Geboten nicht zu töten und am Sabbat zu ruhen gehorsam zu sein. Das geschah mehr oder weniger erfolgreich auf persönlicher Ebene“ (149). Daniel Heinz interviewte 30 Adventisten, die im Zweiten Weltkrieg deutsche Soldaten waren. Nur drei von ihnen mussten ihre Waffe einsetzen, um Feinde zu töten(137f.)
An drei Beispielen macht Heinz deutlich was es für einen Adventisten bedeutete als Soldat anders handeln zu wollen. Fritz Bergner, 1903 geboren in Berlin, weigerte sich den Hitlergruß zu gebrauchen und als Schlosser in einer Fabrik in Hannover-Brink am Sabbat zu arbeiten. 1940 bekam er seinen Einberufungsbefehl zur Wehrmacht und 1941 wurde er an die Ostfront geschickt. Wegen des Sabbats und seines Bekenntnisses, „eher werde ich mich erschießen lassen, als meine Waffe gegen einen Feind zu richten“, wurde er mehrfach bestraft. Als sich dadurch seine Haltung nicht änderte, wurde er der Gestapo übergeben und kam in das KZ Mauthausen. Im November 1942 starb er im KZ Dachau (146).
Hans Brüning, 1901 in Rostock geboren, arbeitete als Bibliothekar. Krankheitsbedingt war er für den militärischen Dienst untauglich. Doch zu Beginn des Jahres 1943 bekam er hintereinander zwei Einberufungsbescheide, die er ignorierte. Als er versuchte in die Schweiz zu fliehen wurde er an der Grenze gefasst und von einem Kriegsgericht als Landesverräter zum Tode verurteilt. Am 22. Februar 1944 erfolgte seine Hinrichtung (146f.).
Willi Kollmann, geboren 1914 in Neustrelitz, kam zur Luftwaffe und wurde als Pilot ausgebildet. Mit einer Transportmaschine brachte er Nahrungsmittel und ärztlichen Bedarf an die Front. Im März 1944 bekam er den Versetzungsbefehl zu einem Bombergeschwader. Als er die Versetzung verweigerte, drohte ihm ein Kriegsgerichtsverfahren. Bevor das Gericht tagen konnte, wurde Kollmann am 27. April 1944 mit seinem Flugzeug im Osten Polens abgeschossen, wobei er umkam (147).
Kriegsdienstverweigerung nach 1945 in Deutschland
Daniel Heinz befasst sich in seinem Essay schwerpunktmäßig mit dem Militärdienst der Adventisten in Europa in der Zeit des Ersten und Zweiten Weltkrieges (135). Deshalb erwähnt er nicht, dass nach 1945 die Leitung der Siebenten-Tags-Adventisten in der Bundesrepublik Deutschland ihren wehrpflichtigen Mitgliedern empfahl, einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen zu stellen und Zivildienst zu leisten, was fast alle Betroffenen taten.
In der damaligen DDR gab es keinen Zivildienst, sondern nur einen waffenlosen Dienst als Bausoldat. Die meisten wehrpflichtigen Adventisten entschieden sich dafür, wenngleich für einen Bausoldaten in der Regel damit der Ausschluss vom Hochschulstudium verbunden war. Unter den bereits getauften adventistischen Jugendlichen gab es nur ganz wenige, die den Waffendienst in der Nationalen Volksarmee ableisteten; und auch die wenigen meist im Sanitätsdienst. Aber selbst noch nicht getaufte Jugendliche zogen trotz offenkundiger Nachteile den Dienst als Bausoldaten vor.
In Deutschland wurde die Wehrpflicht 2011 ausgesetzt, sodass die Bundeswehr seitdem eine Freiwilligenarmee ist. Um ihren Mitgliedern eine Orientierungshilfe zu geben, beschloss der Ausschuss der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland am 4. Dezember 2017 das Dokument „Mut zum Frieden“, eine Erklärung zum Ende des Ersten Weltkrieges 1918.
Darin heißt es: „Darum empfehlen wir Adventistinnen und Adventisten sowie den Mitgliedern der Adventjugend, sich weder direkt an einem Krieg im Rahmen des freiwilligen Dienstes in der Bundeswehr noch indirekt bei der Vorbereitung eines Kriegs durch Mitwirkung an der Waffen- und Zubehörproduktion sowie an der Informationstechnik zu beteiligen. Seit Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland im Jahr 2011 bietet die Bundeswehr Anreize, sich freiwillig für die Streitkräfte zu verpflichten, etwa eine Berufsausbildung oder ein Studium. Trotzdem ‚ermutigt unsere Kirche aufgrund des nichtkämpferischen Grundgedankens der Bibel … niemanden, sich dem Militär anzuschließen‘, schreibt der Präsident unserer Generalkonferenz (Weltkirchenleitung), Ted N. C. Wilson, in Adventist World, August 2014, S. 9. Und er stellt fest: ‚Siebenten-Tags-Adventisten haben ihr historisches Zeugnis für den Frieden und den Dienst ohne Waffen in den 151 Jahren ihres Bestehens nicht aufgegeben‘.
Die Erklärung „Mut zum Frieden“ der deutschen Freikirchenleitung ist im Anhang des Buches „Adventists and Military Service“ unter den adventistischen Stellungnahmen aufgelistet (204).
Kein normaler Beruf
Im Kapitel 7 befasst sich Frank M. Hasel mit den ethischen Herausforderungen des Militärdienstes. Es geht dabei um Nationalismus und Patriotismus, Loyalität im Zusammenhang mit dem Fahneneid, die weltweite adventistische Kirche mit Menschen aus allen Nationen, die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens, Einhaltung der Gebote Gottes, die Lebensweise in den Streitkräften, die militärische Grundausbildung, die Rekrutierung junger Menschen, Nichtkämpferdienste, die moderne Kriegsführung sowie Probleme, die sich aus dem adventistischen Verständnis von Mission und Eschatologie ergeben.
Hasel orientiert sich hierbei an den US-Streitkräften, denn im Anhang zu seinem Artikel sind die Creeds (Leitbilder) von Armee und Ranger (Spezialkräfte), Luftwaffe, Küstenwache, Marineinfanterie, und Marine zu finden. In den Leitbildern wird deutlich, dass solch ein Dienst kein normaler Beruf ist. Im Creed der Armee steht: „Ich bin bereit, die Feinde der Vereinigten Staaten von Amerika im Nahkampf zu vertreiben, zu bekämpfen und zu vernichten“ (178). „Als Ranger erwartet mein Land von mir, dass ich besser, härter und mit mehr Einsatz kämpfe als jeder andere Soldat“ (179). Luftwaffe: „Meine Mission ist es zu fliegen, zu kämpfen und zu gewinnen“ (179). Küstenwache: „Ich werde mein Leben teuer an die Feinde meines Landes verkaufen, aber ich gebe es aus freiem Willen, um diejenigen zu retten, die in Gefahr sind“ (180). Marineinfanterie: „Mein Gewehr ist mein bester Freund. Es ist mein Leben … Ich muss besser schießen als mein Feind, der versucht, mich zu töten. Ich muss ihn erschießen, bevor er auf mich schießt“ (181). Marine: „Ich repräsentiere den Kampfgeist der Marine und derer, die vor mir für die Verteidigung von Freiheit und Demokratie auf der ganzen Welt eingetreten sind“ (182).
Hasel möchte mit dem Anhang deutlich machen, dass das Leitbild welches Jesus Christus seinen Nachfolgern als Friedensstifter gibt, konträr zu den Creeds der Streitkräfte ist (159).
Als „Feiglinge“ diffamiert
Im Kapitel 8 geht es um die psychologischen Auswirkungen von Kriegserlebnissen und wie die Seelsorge darauf reagieren kann. Andreas Bochmann, Prorektor und Professor für Ehe-, Familien- und Lebensberatung der adventistischen Theologischen Hochschule Friedensau, informiert über die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS/PTSD), eine psychische Erkrankung, die nach traumatischen Erlebnissen auftreten kann. Zu den Personen, die deutlich öfter in traumatisierende Situationen geraten, gehören schon immer Soldaten. Seit Jahrhunderten werden die Symptome, die für PTBS typisch sind, bei ihnen entdeckt und beschrieben. Betroffene Soldaten wurden als „Feiglinge“ diffamiert. Das Ausmaß der Kriegstraumata wurde auch nach 1945 vielfach tabuisiert. Erst mit dem Vietnamkrieg änderte sich daran etwas grundlegend (185).
Militärdienst wo immer möglich vermeiden
„Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Entscheidung für den Militärdienst zahlreiche Schwierigkeiten mit sich bringt und den überzeugten Gläubigen mit vielen ethischen Problemen konfrontiert“, schreibt Frank M. Hasel im Schlusskapitel 9 (195). Er stellt fest, dass die Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten von Anfang an das Tragen von Waffen und die Teilnahme an Kriegshandlungen als Verletzung der Lehren Jesu und des Gesetzes Gottes betrachtete. Zahlreiche adventistische Kriegsdienstverweigerer hätten ihren Mut und ihre Treue zum Wort Gottes unter schwierigsten Umständen bezeugt. Leider habe sich die Haltung etlicher Siebenten-Tags-Adventisten allmählich von einer Position der Kriegsdienstverweigerung zu einer bewussten Zusammenarbeit mit dem Militär gewandelt. „Ein Militärdienst ist jedoch für Siebenten-Tags-Adventisten keine Art und Weise zu leben und sollte, wo und wann immer möglich, vermieden werden“, betont der Mitherausgeber des Buches (196).
Die Veröffentlichung enthält drei Anhänge: Ein Verzeichnis adventistischer Stellungnahmen aus den Jahren1864 bis 2018 hinsichtlich Nichtkämpfen, Krieg und Frieden, eine Bibliografie mit adventistischer Literatur sowie eine Liste ausgewählter Werke von nicht adventistischen Autoren zur Thematik (201-225).
Eine notwendige Orientierungshilfe
„Adventists and Military Service“ führt eine Vielzahl von Gründen an, warum Mitglieder der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten – und zwar Männer wie Frauen – nicht freiwillig Wehrdienst leisten sollten. Zwar gab es selbst im Amerikanischen Bürgerkrieg Adventisten, die sich freiwillig meldeten und sich damit bewusst für den Waffendienst entschieden. Doch in den letzten Monaten des Krieges wurde einigen dieser adventistischen Soldaten die Mitgliedschaft von ihren örtlichen Kirchengemeinden entzogen. Dabei ging es den Gemeinden um ihre Glaubwürdigkeit als Kirche. Wenn Adventisten sich freiwillig zum Waffendienst melden, konnten die Militärbehörden Zweifel daran haben, dass es sich bei der Seventh-day Adventist Church tatsächlich um eine religiöse Gemeinschaft handelt, die aus Gewissensgründen gegen das Tragen von Waffen ist.
Das vorliegende Buch informiert auch darüber, wie sich Adventisten in Ländern verhielten, in denen die allgemeine Wehrpflicht herrschte. Dort konnte man sich nicht vom Wehrdienst freikaufen oder eine Ausnahmeregelung als Nichtkämpfer beanspruchen. Eine völlig neue Situation trat jedoch ein, als manche Länder begannen die Wehrpflicht auszusetzen und die Streitkräfte Freiwillige rekrutieren mussten. Nicht nur in den USA, sondern auch in anderen Staaten gibt es inzwischen keine wehrpflichtigen Soldaten mehr.
Aus den Erfahrungen der Adventisten in den USA wird deutlich, dass es ein Irrtum ist zu meinen: Wenn es keine Wehrpflichtigen mehr gibt, dann braucht sich eine Kirche nicht mehr mit dem Thema Kriegsdienstverweigerung zu befassen. Doch eine Kirche, die davon überzeugt ist, dass ein Christ keine Waffe tragen sollte, wird gerade in Friedenszeiten und selbst wenn es keine Wehrpflicht mehr gibt herausfordert deutlich zu machen, dass Militärangehörige keinen normalen Beruf ausüben. Sie werden ausgebildet, um mitzuhelfen möglichst effektiv andere Menschen, die ebenfalls Gottes Geschöpfe sind, zu vernichten.
Deshalb genügt es nicht, wenn eine Kirche einmal grundsätzlich zum Thema Kriegsdienst Stellung genommen hat. Es ist wichtig die Aufforderung Jesu, dass seine Nachfolger Friedensstifter ohne Waffen sein sollten, in den örtlichen Kirchengemeinden nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Das Buch „Adventists and Military Service“ ist deshalb eine beachtenswerte und notwendige Orientierungshilfe, um zu verstehen, warum die adventistische Kirche auch heute noch den Nichtkämpferstandpunkt vertritt. Dass der Band in Englisch erschienen ist, macht eine weite Verbreitung möglich. Weltweit gibt es nur einige Zehntausend deutschsprachige Adventisten, aber Millionen Mitglieder, welche die englische Sprache verstehen. Das Werk richtet sich zwar in erster Linie an Siebenten-Tags-Adventisten, doch es kann auch Friedensfreunden in anderen Konfessionen Impulse vermitteln.
Holger Teubert