Es geht um Opferschutz
Es gehe den an der Erhebung beteiligten Organisationen „Open Doors“, „Aktion für verfolgte Christen und Notleidende“ (AVC), „Europäische Missionsgemeinschaft“ (EMG) und „Zentralrat Orientalischer Christen in Deutschland“ (ZOCD) nicht darum, alle Muslime unter Generalverdacht zu stellen, betonte Markus Rode von „Open Doors“ bei einer Pressekonferenz am 17. Oktober in Berlin. Es gehe vielmehr um Opferschutz, denn ein Verschweigen sei keine Lösung. Zahlreiche Betroffene hätten bereits in ihren islamischen Herkunftsländern als religiöse Minderheiten massives Unrecht und Verfolgung erlitten. Das wäre für viele der Grund ihrer Flucht ins vermeintlich sichere Deutschland gewesen. Doch nun erlebten diese teilweise schwer traumatisierten Flüchtlinge hierzulande Ähnliches, ohne davor geschützt zu werden. Wer dieses Unrecht aus politischen oder anderen Beweggründen verharmlose, verschweige oder für eigene Zwecke missbrauche, ermutige die Täter in ihrem Tun und mache sich damit mitschuldig am Leid der Betroffenen.
Kulturelle und religiöse Prägung verändert sich nicht automatisch
Die Täter seien keineswegs Terroristen, stellte Rode fest, sondern gläubige Muslime. Im Bestreben, die eigene Kultur zu bewahren, würden gewohnte und geforderte Verhaltensweisen aus den Heimatländern gelebt. In den meist islamisch dominierten Herkunftsländern vieler Flüchtlinge und den dortigen Umgang mit religiösen Minderheiten offenbare sich allerdings ein Islamverständnis, das nicht vereinbar sei mit dem Konzept der Religionsfreiheit und Gleichbehandlung aller Menschen nach dem Grundgesetz. Dass darunter Andersgläubige leiden, sei für viele muslimische Flüchtlinge ein alltäglicher und selbstverständlicher Nebeneffekt. Christen würden für ihren Glauben als Menschen zweiter Klasse, als Unreine und Ungläubige diskriminiert und immer wieder auch tätlich angegriffen. Die im Koran verankerte Denkweise, dass Nichtmuslime als Ungläubige unrein wären, sei weit verbreitet. Eine derartig tiefgehende kulturelle und religiöse Prägung werde nicht automatisch mit dem Umzug in ein anderes kulturelles Umfeld abgelegt, sondern habe weiterhin maßgeblichen Einfluss auf die Denk- und Handlungsweise der betroffenen Flüchtlinge.
Die Täter sind meistens auch Flüchtlinge
Die meisten der befragten Flüchtlinge kommen laut Erhebung aus dem Iran (304), gefolgt von Syrien (263), Afghanistan (63) und dem Irak (35). 314 berichten von Todesdrohungen, 44 von sexuellen Übergriffen, 416 von Körperverletzung und 615 von anderen Bedrängnissen. Die Täter stammten zu über 90 Prozent aus dem Kreis
der Mitflüchtlinge, knapp ein Drittel der Teilnehmer an der Umfrage berichteten aber auch von Diskriminierung und/oder Gewalt vonseiten des meist muslimischen Wachpersonals. 51 Prozent sind laut Erhebung Konvertiten, das heißt Menschen, die ihren Glauben gewechselt haben. 29 Prozent von ihnen sind in Deutschland und
62 Prozent bereits in ihrem Heimatland zum christlichen Glauben übergetreten. 45 Prozent sind bereits in ihrer Heimat traditionelle Christen gewesen. Das zeige, so Rode, dass nicht nur Konvertiten von Übergriffen betroffen seien, sondern auch Christen, die seit Jahrhunderten in Vorderasien leben.
Verschiedene Stufen der Bedrängnis
Frank Seidler von der Europäischen Missionsgemeinschaft (EMG) wies darauf hin, dass es verschiedene Stufen der Bedrängnis von religiösen Minderheiten gebe. Das zeige sich nicht nur bei Christen, sondern auch bei den befragten Jesiden. Es beginne schon bei muslimischen Übersetzern, die sich weigerten gegenüber den Behörden deutlich zu machen, dass bei dem betreffenden Flüchtling als Religion Christentum einzutragen sei. Auch bei Gerichtsverfahren wäre es ratsam einen zusätzlichen und zuverlässigen Dolmetscher einzubeziehen. Beschimpfungen, Beleidigungen und allgemeine Drohungen durch Mitflüchtlinge und Sicherheitspersonal wären eine Steigerung, gefolgt von Warnungen die Gemeinschaftsküche in Asylunterkünften zu benutzen. Eskalieren würde die Situation bei körperlichen Angriffen und Todesdrohungen, die nicht nur gegen christliche Flüchtlinge gerichtet sind, sondern auch gegen deren Familienangehörige, die noch in den Heimatländern leben.
Auch Familienangehörige in der Heimat bedroht
Dass derartige Drohungen ernst zu nehmen seien, schilderte der afghanische Flüchtling Hamid (Name geändert) während der Pressekonferenz. Er habe erst in einem Flüchtlingslager in Griechenland gelebt und regelmäßig den Gottesdienst in einer Kirche besucht. Als dies muslimische Afghanen vom Volk der Paschtunen erfuhren, hätten sie ihn misshandelt und versucht zu töten. Deshalb sei er weiter nach Deutschland geflohen, da er sich dort Sicherheit erhoffte. Doch er wurde trotz seines Protestes in eine Asylunterkunft gebracht, die ausschließlich von Paschtunen bewohnt worden sei. Als er erneut Gottesdienste besuchte, wäre er zusammengeschlagen und mit dem Tod bedroht worden. Er habe dies den Wachleuten der Unterkunft und auch der Polizei gemeldet, jedoch ohne Erfolg. Die christliche Gemeinde, die ihn betreute, habe ihm daraufhin eine andere Unterkunft besorgt. Einer der Paschtunen hätte seine Mutter und seine Schwester ausfindig gemacht, die noch in Afghanistan leben. Sie seien daraufhin von der Polizei ins Gefängnis gebracht worden. Nur durch Bestechungsgeld wäre es möglich gewesen, dass seine Angehörigen frei kamen und jetzt an einem anderen Ort in Afghanistan leben würden.
Anzeigen zwecklos?
Paulus Kurt vom Zentralrat Orientalischer Christen in Deutschland (ZOCD) wies darauf hin, dass die Umfrage ergeben habe, dass nur in den seltesten Fällen die Betroffenen Übergriffe bei der Polizei zur Anzeige bringen (17 Prozent, 129 Personen). Beziehe man Anzeigen und Beschwerden bei den Heimverwaltungen mit ein, hätten nur 28 Prozent (213 Personen) Schutz durch die deutschen Behörden gesucht. 54 Prozent der Befragten (399) nannten Gründe für das Nichtanzeigen von Übergriffen. 48 Prozent von ihnen gaben Angst an – insbesondere die Angst vor Wiederholungstaten beziehungsweise vor einer Verschlimmerung der Situation (36 Prozent). Weitere Gründe waren die fehlende Möglichkeit einer zuverlässigen Kommunikation mit der Polizei beziehungsweise den Behörden aus sprachlichen Gründen (14 Prozent) sowie der Eindruck, dass eine Anzeige ohnehin zwecklos ist (14 Prozent).
Keine weiteren Integrationsexperimente
Markus Rode forderte, es dürfe keine weiteren „Integrationsexperimente“ auf dem Rücken christlicher Flüchtlinge und anderer religiöser Minderheiten in deutschen Asyl- und Erstaufnahmeeinrichtungen geben. Es gelte zügig Präventionsmaßnahmen zum Schutz religiöser Minderheiten während des gesamten Asyl- und Integrationsprozesses zu ergreifen. Dazu gehöre die Zusammenlegung von Minderheiten, sodass der Anteil der Christen sowie anderer religiöser Minderheiten im Verhältnis zu den Muslimen in etwa gleich sei. Getrennte Unterbringung von Christen sowie von anderen religiösen Minderheiten, die bereits Opfer von Verfolgung und Diskriminierung geworden sind. Adäquate Erhöhung des nicht-muslimischen Anteils innerhalb des Wachpersonals. Regelmäßige Schulungen und Sensibilisierung der Mitarbeiter und des Sicherheitspersonals in Flüchtlingsunterkünften hinsichtlich Ursachen religiöser Konflikte und des Schutzes religiöser Minderheiten sowie verpflichtende Erfassung der Religionszugehörigkeit bei religiös motivierten Konflikten. Bereitstellung von Vertrauenspersonen christlichen Glaubens, an die sich von Verfolgung betroffene Christen wenden könnten.
Es gibt auch positive Beispiele
Rode wies darauf hin, dass es inzwischen bereits positive Ansätze zum Unterbinden religiös motivierter Übergriffe gebe. In der in Berlin vorgestellten neuen Erhebung werden Beispiele aus Berlin, Stuttgart, Bad Homburg, Rotenburg a. d. Fulda, Schloss Holte-Stukenbrock/Kreis Gütersloh und Rottach-Egern genannt. Die Erhebung kann im Internet heruntergeladen werden unter:
https://www.opendoors.de/downloads/Berichte/Open_Doors_Erhebung_Mangelnder_Schutz_religioeser_Minderheiten_in_Deutschland_2016_10.pdf
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